In einer „Schaufensterausstellung“ ermöglicht das Lohrer Schulmuseum im Fischerhaus neben der Lohrer Pfarrkirche vom 1.11.2024 bis 5.3.2025 vor allem anhand von großformatigen Schulwandbildern interessante Einblicke in das menschliche Leben vergangener Zeiten.
Der Lebenslauf des Mannes; Darstellung um 1910
Wandbilder gehörten etwa von 1870 bis 1970 vor allem für die Volksschule zu den wichtigsten visuellen Unterrichtsmedien.
In der Regel von hervorragenden
Künstlern gestaltet sind es heute anschauliche Kulturdokumente. „In
ihnen spiegeln sich nicht nur die Erziehungsabsichten und das
Schulwissen der Epoche, sondern auch der jeweilige Zeitgeist wider. (…)
Somit stellen diese Bilder eine sehr aufschlussreiche Quelle für die
schul-, bildungs-, kunst- und sozialhistorische Forschung dar.“ (Prof.
Dr. Walter Müller, Universität Würzburg.).
„Buchdruck zu Gutenbergs Zeit“; Schulwandbild 1950
Und in einem Beitrag zur Geschichte
des Schulwandbildes des Instituts für Pädagogik der Universität
Würzburg heißt es dazu unter anderem: „Die schulischen Wandbilder haben
als zentrale Bildmedien in den Schulen über Generationen hinweg auf die
Vorstellungen von Geschichte und der eigenen Identität eingewirkt und
ein national-kulturelles Selbstverständnis geprägt. Sie sind Fiktionen
ihrer Zeit und sind als historisch kontingente symbolische Formen der
Selbst- und Weltdeutung Teil des kulturellen Gedächtnisses europäischer
Gesellschaften.“
„Goethe und Schiller in Jena“; Schulwandbild 1948
Schätzungsweise kamen im deutschsprachigen Raum ca. 15000 Schulwandbilder in Umlauf.
Sie wurden in der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts nach und nach durch die Bildmedien etwa wie Dias,
Filme und Overheadfolien verdrängt.
„Die Entdeckung der Röntgenstrahlen“; Schulwandbild 1952
Das
Lohrer Schulmuseum verfügt über einen großen Bestand an
Schulwandbildern aus einer 40-jährigen Sammelzeit. Es ist wohl der
größte Bestand eines Schulmuseums und sollte unbedingt erhalten werden.
„Die Taufe“; Bildausschnitt aus einem Schulwandbild 1913 | Buchillustration aus „Christliche Standesunterweisung“, 1898; |
Exponate
aus dem Bestand des Museums zu den verschiedenen Themenbereichen sind
interessante Ergänzungen und runden die Ausstellung ab.
Die Ausstellung kann jederzeit besichtigt werden.
(Eduard Stenger)
Ergänzung zur Sonderausstellung des Schulmuseums vom 1.11.2024 bis 5.3.2025
im Fischerhaus neben der Lohrer Pfarrkirche
Ein seltener Schatz
Schneewittchen im Glassarg
Schneewittchen vom Lehrmittelverlag Meinhold & Söhne Dresden um 1905
Ein herausragendes Exponat der
Sonderausstellung „Körper, Geist und Seele“ des Lohrer Schulmuseums im
Fischerhaus neben der Lohrer Pfarrkirche stellt das nun hinzugefügte
Schneewittchen-Schulwandbild der österreichischen Künstlerin Emilie
Mediz-Pelikan dar.
Es gehört zu den allerersten
Schulwandbildern (aus der Zeit um 1905) zum Thema Märchen überhaupt.
Gedacht war vom Herausgeber, anhand einer konsequent realistischen
Bilddarstellung, den Märchenstoff im Schulunterricht einzuführen und
durch Nacherzählen des Märchens die mündlichen und schriftlichen
Sprachfertigkeiten der Kinder zu fördern, ein national geprägtes
Geschichtsbewußtsein zu vermitteln sowie den Kindern klare moralische
Wertmaßstäbe einzupauken. Das Lohrer Schneewittchenbild widersprach
jedoch all diesen pädagogischen Grundsätzen im wilhelminischen
Deutschland. Die Künstlerin, die der Kunstrichtung des Symbolismus sehr
nahe stand, wollte mit ihrer Darstellung des trauernden Zwerges vor
allem die seelische Betroffenheit im Märchen hervorheben, was ihr durch
die Darstellung der empfindsamen Schönheit und überwirklichen
Festlichkeit des Schneewittchens im Glassarg hervorragend gelang und
den Betrachter des Bildes noch bis heute sprachlos zurücklässt. Das
Bild musste deshalb schon bald vom Verlag zurückgezogen und durch eine
andere Darstellung ersetzt werden. Heute ist das Bild im Schulmuseum
Lohr aufgrund seiner einzigartigen künstlerischen Ausdruckskraft,
seiner schon damaligen geringen Verbreitung und durch die massiven
Verluste in den Lehrmittelbeständen der Schulen im Laufe von über 120
Jahren Schulgeschichte nicht nur ein ganz besonderer seltener Schatz,
sondern auch ein erstes herausragendes Beispiel dafür, welche
Spannbreite sich bei der Interpretation und Illustration der Märchen
seither bietet.
(Text: Martina und Lutz Dathe, Leipzig)
Anmerkung: Das Sammlerehepaar Martina und Lutz Dathe verbindet eine langjährige Freundschaft mit dem Lohrer Schulmuseum.
Ihr besonderes Interesse gilt der kunstwissenschaftlichen Erforschung des Märchen-Schulwandbildes und der Märchenillustration.
Der von ihnen verfasste umfangreiche
Katalog "Mit und ohne Zeigestock - Die Märchen der Brüder Grimm auf
Schulwandbildern" erfasst und behandelt alle Bilder, die im Verlaufe
der wechselvollen Schulgeschichte im deutschsprachigen Raum des
gesamten 20. Jahrhunderts
erschienen sind und heute ein wichtiger Teil
der Märchenkultur sind.
Das Lohrer Schulmuseum
im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist
von Mittwoch bis Sonntag und an allen
gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet.
Gruppen
können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der regulären
Öffnungszeiten das Museum besuchen.
(Kontakt: Eduard Stenger, Zum
Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main; Tel. 09352/4960
oder 09359/317 oder
09352/848-465, e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)