Das politische Lied in Erziehung und Schule
Ergänzung der ständigen Ausstellung im Lohrer Schulmuseum


Kaiser Wilhelm II.; offizielle Lithografie 1913: „1888 – 25 JAHRE DEUTSCHER KAISER – 1913“
Kaiser Wilhelm II.; offizielle Lithografie 1913:
„1888 – 25 JAHRE DEUTSCHER KAISER – 1913“
Im Schulliederbuch wurde der Kaiser (und König von Preussen) im Superlativ gepriesen.
Er war die Inkarnation guter Eigenschaften: mild, weise, edel, fromm und tapfer.

"Kein schönrer Tod, als wer vorm Feind erschlagen." Dieses Lied, das in seinen Ursprüngen bis ins 16. Jahrhundert zurückgeht, wurde nach zwei Weltkriegen in kurzer Folge endgültig aus den Schulliederbüchern verbannt. Die Menschen hatten 1945 genug vom Heldentod auf dem Schlachtfeld.

Politische Entwicklungen haben auch das Liedgut an den Schulen und in den Jugendbewegungen ganz wesentlich geprägt. So sind insbesondere die Liederbücher aus der Kaiserzeit, dem Dritten Reich sowie der DDR auch interessante Zeitdokumente, die Aufschluss darüber geben, wie man Kinder und Jugendliche über das Liedgut emotional beeinflusste und „ausrichtete“.

In der Kaiserzeit (1871 – 1918) wurden die Monarchie, der Wehrwille und das Vaterland besungen, wobei mit der zunehmenden Militarisierung der gesamten Gesellschaft und dem sich abzeichnenden

Ersten Weltkrieg (1914 – 1918) die Soldaten- und Kriegslieder immer mehr in den Vordergrund traten („Nun weg mit Feder und Papier und Säbel her und Flinte! Die deutschen Noten schreiben wir mit Stahl und roter Tinte“), oft mit religiösen Texten angereichert und den Heldentod verherrlichend („Wohl sehr glücklich ist, wer zu sterben weiß für Gott und das teure Vaterland!“).

Vor allem nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs füllten neben den alten Soldaten- und Kampfliedern auch neue Heldenlieder und die damit verbundene Verherrlichung des Todes auf dem Schlachtfeld die Liederbücher, oft die Todesbereitschaft christlich verklärend und belohnend („Ja, der Weg zum Herrn ist ein Dornenpfad, doch reich lohnt die Ruhe dort am Ziel.“).

Gelegentlich waren es auch Lehrer, die sich mit patriotischen Liedern hervortaten, so der Schulleiter der Lohrer Präparandenschule, Cornelius Schmitt, der im Eigenverlag 1915 unter dem Titel „Deutsche Lieder“ eine Reihe von patriotischen Liedern veröffentlichte, die u.a. den „schönen Soldatentod“ zum Inhalt hatten. Zur gleichen Zeit widmete der Lohrer Kgl. Gymnasialmusiklehrer Franz Josef Rothaug der deutschen Jugendwehr (Verein zur Förderung der Wehrfähigkeit der Jugendlichen ab 16 Jahre) sein „Landsturmanns Abschiedslied“, in dem es in der 7. Strophe heißt: „Wer besser weiß zu sterben, Herr Feind, den nenne mir! Der Ruhm gehört den Erben, es stirbt kein Volk wie wir!“

Die Lohrer Jugendwehr 1917

Die Lohrer Jugendwehr 1917. Zu Beginn des 1. Weltkriegs (1914-1918) wurde in Deutschland
die Gründung von Jugendwehren zum Zweck der vormilitärischen Ausbildung für männliche
Jugendliche angeordnet. Gestützt wurde dieses Vorhaben durch zahlreiche patriotisch-militärische
Lieder in den Schulliederbüchern und so die emotionale Verankerung von „Kriegführen als männliche
Selbstverständlichkeit“ gesichert. Zu keiner Zeit wurde mehr kriegerische „Gebrauchslyrik“ produziert,
oft auch von den Lehrern an den Schulen (wie z.B. in Lohr a.Main), als nach dem Kriegsausbruch 1914.


Ein Zitat, das später sinngemäß auch von Reichspropagandaminister Goebbels verwendet wurde.

Hätten die „Gebrauchslyriker“ jemals ein Schlachtfeld mit all seinen Unmenschlichkeiten erlebt, hätten sie wahrscheinlich von solchen Liedern Abstand genommen.

Die fast rauschhafte Steigerung der patriotischen Begeisterung fand auch ihren Niederschlag in Liedern, in denen die Anfänge der späteren rassistischen Blut- und Bodenideologie der Nationalsozialisten des Dritten Reichs erkennbar sind („Ehre sei dir, herrliches Volk der Germanen“).

Mit dem Ende des Kaiserreichs 1918 verschwanden die aggressiv-brutalen Weltkriegslieder aus den Musikbüchern, aber ein Teil der patriotischen Lieder wurde auch in der Weimarer Republik (1919 - 1933) gesungen. Zu den vaterländischen Liedern dieser Zeit gehörten vor allem überzeitliche Lieder aus der deutschen Geschichte und Lieder, in denen der „alte Geist“ und die „alte Kraft“ besungen wurden („Wach auf, du deutsches Reich“, „Siegfrieds Schwert“ usw.).

Andere Lieder hatten die bürgerlichen Grundtugenden zum Inhalt („Zufriedenheit ist Wohlstand, ist Reichtum des Gemüts“) - vergleichbar mit den Strömungen der Biedermeierzeit in der ersten Hälfte des 19. Jhd.


„Zwei Volkslieder aus grosser Zeit - Der deutschen Jugendwehr gewidmet von J. F. Rothaug“, um 1915

„Zwei Volkslieder aus grosser Zeit - Der deutschen Jugendwehr gewidmet von J. F. Rothaug“, um 1915
(zu dieser Zeit Musiklehrer am Kgl. Gymnasium Lohr a.Main) – Kriegslieder zur Weckung der jugendlichen
Begeisterung für die „Vaterlandsverteidigung“.
Zimperlich war Herr Rothaug bei seinen Liedtexten nicht.
So heißt es in der ersten Strophe seines Kriegsliedes: „Deutschland voran! Deutschland voran!
Mitten durch feindliche Heere, hauh'n wir mit blitzender Wehre kühn uns die Bahn! Deutschland voran!“


Einen neuen Schub erhielt das politische Lied mit der Machtübernahme durch die Nazis 1933.

Die NS-Liederdichter verzichteten meist auf die bis dahin üblichen christlichen Bezüge bei ihren Heldendichtungen. Der Musikpädagoge Josef Heer charakterisierte das „Lied der jungen Generation“ im Dritten Reich: „Das ist das große Gesicht unserer Zeit: Das Marsch- und Soldatenlied wurde vertieft zum Revolutions- und Kampflied, das 'patriotische' Lied zum deutschen Choral und Feierlied und so eine Sphäre, die bis dahin nur durch die Nationalhymne und wenige alte Choräle berührt und sonst der Kirche vorbehalten war, dem nationalen Lied geöffnet.“

Es kam zu einer Sakralisierung des Führerkults als Ersatzreligion. „Himmlische Gnade uns der Führer gab, wir geloben Hitler Treue bis ins Grab“, reimte Heinrich Spitta 1933. Veröffentlicht wurde seine Komposition mit dem Titel „Erde schafft das Neue“ u.a. im NS-Liederbuch „Singkamerad, Schulliederbuch der deutschen Jugend“, herausgegeben von der Reichswaltung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, Zentralverlag der NSDAP, München, 1940, gemäß einer Ministerial-Entschließung vom 28. 12. 1938 „das einzige zugelassene Lernmittel für den Gesangsunterricht in den bayerischen Volksschulen“. An anderer Stelle des Liederbuches heißt es unter dem Liedtitel „Nun laßt die Fahnen fliegen“ (Text und Melodie von Hans Baumann): „Drum laßt die Fahnen fliegen in das große Morgenrot, das uns zu neuen Siegen leuchtet oder brennt zum Tod.“ Und wieder an anderer Stelle ist das Lied „Schwarz ist das Kreuz“ von K. Dümlein abgedruckt. Es endet mit dem Text: „Tote Soldaten, die stehen, stehen, stehen in der Nacht, halten für Deutschland auf immer treue Wacht.“

Andere Lieder forderten die bedingungslose Ergebenheit in den Willen des Führers. In diesem Sinne wurde das ursozialistische Arbeiter-Kampflied „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ umgetextet, und die fünfte Strophe hieß nun:

Hitler sind wir treu ergeben, treu bis in den Tod.

Hitler wird uns führen einst aus dieser Not.“

Schlimmer in der historischen Dimension der NS-Verbrechen war allerdings die zweite Strophe mit der antisemitischen Komponente:

Hitler ist unser Führer, ihn lohnt nicht goldner Sold,

der von den jüdischen Thronen vor seine Füße rollt.“

Einen breiten Raum nahmen nun auch Lieder ein, die das Eroberungsmotiv in den Vordergrund stellten („In den Ostwind hebt die Fahnen...“, oder „Nun wird zu eng das weite Land...“).

(Lieder im „Singkamerad, Schulliederbuch der deutschen Jugend“ aus dem Jahr 1940.)


Schulwandbild „Wir wandern“ aus den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts

Schulwandbild „Wir wandern“ aus den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts:
Erschreckt durch die schlimmen Erfahrungen des Dritten Reichs und der schweren
Nachkriegsjahre von 1945 bis 1950 zog sich ein Großteil der deutschen Bevölkerung,
gleichsam wie in der Biedermeierzeit (1. Hälfte des 19. Jahrhunderts),
aus der Politik in ein beschauliches kleinbürgerliches Privatleben zurück


Es waren wohl auch derartige Lieder, die viele junge Menschen an den Flakgeschützen und in den Schützengräben des Zweiten Weltkriegs ausharren ließen, bis sie von Granaten und Bomben zerfetzt wurden, während die braunen Parteigenossen schon längst abgetaucht waren in der Masse der biederen und „ahnungslosen“ Bürger. - das Lied als höchst effektiver Gesinnungsträger mit Langzeitwirkung, um die Grundhaltungen der Kinder entsprechend zu beeinflussen. Die Vorbereitung auf den Heldentod war eines der Leitthemen.

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs 1945 wurde in Westdeutschland bzw. in der BRD bis in das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts hinein darauf geachtet, dass nicht erneut Lieder mit politischem Hintergrund in den Schulen gesungen wurden. Die Lieder sollten nun vor allem wieder der Verschönerung des menschlichen Daseins dienen und bezogen sich auf die Idylle des Tages-, Jahres- und Lebenskreises („Jetzt fängt das schöne Frühjahr an“, „Jeden Morgen geht die Sonne auf“).

Das politische Lied in der Werbung - Reklamemarken
Das politische Lied in der Werbung - Reklamemarken
Das politische Lied in der Werbung - Reklamemarken

Das politische Lied in der Werbung - Reklamemarken (Originalgröße ca. 4,5 mal 6.5 cm) aus der Serie „Das deutsche Lied“, um 1910.
Solche Marken wurden um 1900 bis etwa 1914 oft als Verschlussmarken für Briefe

Anders in der damaligen DDR. Zunächst verwendete man auch dort wenig politisches Gedankengut in den Schulliederbüchern. Aber in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, also der Zeit allgemeiner Entspannungsbemühungen, nahm der Anteil politischer Lieder rapide zu und erreichte schnell einen ähnlichen Umfang wie in den Liederbüchern des Dritten Reichs. Vor allem wurde der DDR-Staat als zu beschützendes Vaterland besungen („Ich weiß ein schönes Land“). Andere Lieder betonten den Friedensgedanken und warben unter dem Stichwort „Friedenssicherung“ („Den Krieg zu verhindern sei unser Sieg“) auch um Sympathie für die NVA-Soldaten, z.T. allerdings mit Texten, die an andere Zeiten erinnern: „Wer unsern Frieden stört, der wird die Waffen spüren, die uns zum Siege führen.“

„FDJ - meine Organisation“, 1976.

„FDJ - meine Organisation“, 1976. Textauszug: „Die kulturpolitische Arbeit trägt dazu bei,
 junge Kommunisten zu erziehen. (...) So die FDJ Singebewegung, die eine besonders hohe
 Ausstrahlungskraft besitzt. Das gemeinsame Singen, das schöpferische Liedschaffen, das Wirken
in den FDJ-Singeclubs und ihr Auftreten vor Jugendlichen sind Höhepunkte des gesellschaftlichen Lebens.“
Anmerkung: Die „Singebewegung der FDJ“ entstand in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in der DDR.
 „Durch sie fanden die reichen Traditionen vor allem des politischen Liedschaffens ihre Weiterführung.
“ Die Singeclubs waren „Kampfkollektive der FDJ“.
(Aus: „Musik, Lehrbuch für die Klassen 11 und 12“, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin, 1980)


Fahne, Fanfare und Trommel spielten hierbei eine ähnliche Rolle wie zur Kaiser- oder NS-Zeit, wenn auch mit anderer Sinngebung. „Trommel, geh uns stets voran, du, der man vertrauen kann“, hieß es im „Trommellied“, das im DDR-Liederbuch für die Klasse 4, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin, 1973, abgedruckt wurde. Es sollte von den Kindern „fröhlich“ und im „Marschtempo“ gesungen werden.

Bemerkenswert sind auch besonders aus heutiger Sicht die „Lieder für den Frieden“ im 1982 vom Zentralrat der FDJ herausgegeben Oktav Heftchen („Meinst du, die Russen wollen Krieg?...Wir schützen die Sowjetunion...“).

Bleibt noch zu erwähnen, dass etwa ab den 70er Jahren in der BRD auch sozialkritische und Protest-Lieder in den Schulen gesungen wurden („Sag mir wo die Blumen sind“). In keinem Lied wurde aber, wie in der DDR üblich, das politisch-soziale System gefeiert, sondern aus der Sicht der Selbstkritik betrachtet.

Heute steht das politische Lied vor allem im Dienst der Toleranzerziehung und der Völkerverständigung.

(Text: Bert und Eduard Stenger)


Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist
von Mittwoch bis Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet.
 Gruppen können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen.
 (Kontakt: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main; Tel. 09352/4960
oder 09359/317 oder 09352/848-465, e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)

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