„Biedermeier – trautes Heim, Glück allein“
Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum
vom 23. April bis 3. September 2017

Schulwandwild (um 1972): Wohnzimmer aus der Zeit des Biedermeier (1815 bis 1848). (Foto Kleinfelder, Lohr a.Main)
Schulwandwild (um 1972): Wohnzimmer aus der Zeit des Biedermeier (1815 bis 1848). (Foto Kleinfelder, Lohr a.Main)

Was man heute so bildhaft mit „Cocooning“ oder „Homing“  bezeichnet, ist der Trend, sich aus der Öffentlichkeit ins Privatleben zurückzuziehen. Das Zuhause, in dem man es sich gemütlich macht, wird zum Mittelpunkt des Lebens. Man igelt sich ein oder spinnt sich einen Kokon als Schutz gegen die Außenwelt, die als bedrohlich oder unveränderbar empfunden wird.
Den Parteien, den Politikern, der Regierung misstraut man, verunsichert durch nicht eingehaltene Wahlversprechen, Spendenaffären, private Skandale, fehlende Volksnähe oder ungelöste Probleme und daraus resultierende Existenzängste.
Die Unzufriedenheit mit politischen Entscheidungen und ein Gefühl von Ohnmacht gegenüber Institutionen und Regierung führt zu einer Ablehnung und einem Desinteresse, das sich auch in mangelnder Wahlbeteiligung und abnehmenden Mitgliederzahlen politischer Parteien deutlich zeigt.
„Die Schule“, Farbkopie aus „Kinderbilder-Bilder zur Unterhaltung und mündlichen Belehrung, 1. Heft für Knaben“, um 1823
„Die Schule“, Farbkopie aus „Kinderbilder-Bilder zur Unterhaltung und mündlichen Belehrung, 1. Heft für Knaben“, um 1823
Diese Politikmüdigkeit oder Politikverdrossenheit ist allerdings keine moderne Erscheinung, sondern tauchte bereits vor fast 200 Jahren im sog. Biedermeier auf, allerdings unter ganz anderen Voraussetzungen.
Anfang des 19. Jahrhunderts führte die französische Vormachtstellung unter Napoleon in Europa zu Widerstand und in den Befreiungskriegen zwischen 1813 und 1815 entstand ein erstes Nationalgefühl in den verschiedenen deutschen Kleinstaaten. Napoleon wurde 1815  bei Waterloo entscheidend geschlagen, Europa sollte auf dem Wiener Kongress neu geordnet werden. Die Restauration, also die Wiederherstellung der Zustände vor Napoleon, konnte allerdings auf lange Sicht die Verbreitung liberaler und demokratischer Ideen nicht verhindern, was schließlich zur Revolution 1848/49 führte.
„Die Kinderstube“, Farbkopie aus „Kinderbilder-Bilder zur Unterhaltung und mündlichen Belehrung, 1. Heft für Mädchen“, um 1823
„Die Kinderstube“, Farbkopie aus „Kinderbilder-Bilder zur Unterhaltung und mündlichen Belehrung, 1. Heft für Mädchen“, um 1823
Die Zeit zwischen 1815 und 1848 war jedoch von der von oben verordneten Ruhe geprägt, die durch entsprechende Gesetze scharf geregelt wurde. So beschnitten die Karlsbader Beschlüsse von 1819 z.B. die öffentliche schriftliche Meinungsfreiheit und setzten eine rigorose Pressezensur durch. Selbst Turnplätze wurde geschlossen, die Universitäten überwacht und liberal denkende Professoren wurden entlassen. Unter diesen Repressionen zogen sich die Bürger zurück und suchten ihr Heil in ihrem Zuhause oder in der Natur.
Man traf sich zum gemeinsamen Musizieren und die Hausmusik erlebte eine Blüte. Es wurden Stücke von Franz Schubert oder Robert Schumann gespielt oder man vergnügte sich bei öffentlichen Tanzveranstaltungen zu Walzerklängen von Johann Strauss sen. und Joseph Lanner.
„Die Wasch- und Bügelstube“, Farbkopie aus „Kinderbilder-Bilder zur Unterhaltung und mündlichen Belehrung, 1. Heft für Mädchen“, um 1823
„Die Wasch- und Bügelstube“, Farbkopie aus „Kinderbilder-Bilder zur Unterhaltung und mündlichen Belehrung, 1. Heft für Mädchen“, um 1823
Es ist nicht verwunderlich, dass eben zu dieser Zeit bekannte Werke der Romantik von Caspar David Friedrich oder Carl Spitzweg Ideale und idyllische Landschaften aufzeigen, die wohl jeder schon einmal gesehen hat.
„Das militairische Spiel“, Farbkopie aus „Kinderbilder-Bilder zur Unterhaltung und mündlichen Belehrung, 1. Heft für Knaben“, um 1823
„Das militairische Spiel“, Farbkopie aus „Kinderbilder-Bilder zur Unterhaltung und mündlichen Belehrung, 1. Heft für Knaben“, um 1823
Die Literatur des Biedermeier hatte zwei Hauptströmungen: Auf der einen Seite wurde in Novellen, Reisebeschreibungen oder Lustspielen heitere Beschaulichkeit, Idylle, Unterhaltung, ja auch Trivialliteratur geboten, auf der anderen Seite jedoch rüttelten Autoren mit liberalen und rebellischen Gedanken die politisch resignierten Bürger auf und bereiteten den Boden für die Revolution 1848. „Woyzek“ oder „Dantons Tod“ von Georg Büchner sind die wohl bekanntesten Beispiele des sog. Vormärz, aber auch Autoren wie August Heinrich Hoffmann von Fallersleben oder Bettina von Arnim zählen dazu. Weitere literarische Vertreter des Biedermeier sind Annette von Droste-Hülshoff, Heinrich Clauren, Wilhelm Hauff oder Franz Grillparzer.
Ein Gedicht von 1847 des Dichters Ludwig Pfau drückt das Zeitgefühl treffend aus:
                                                                Schau, dort spaziert Herr Biedermeier
                                                                und seine Frau, den Sohn am Arm;
                                                                sein Tritt ist sachte wie auf Eier,
                                                                sein Wahlspruch: Weder kalt noch warm.

Als Spießigkeit, Biederkeit und Kleingeist karikiert, hat die Zeit des Biedermeier jedoch einen ganz eigenen Stil der Einrichtung, Mode, Musik – vor allem Hausmusik-, Kunst und Literatur hervorgebracht.
Farbkopie aus „DIE TURMUHR eine RECHEN-FIBEL für kleine Kinder“, 1841
Farbkopie aus „DIE TURMUHR eine RECHEN-FIBEL für kleine Kinder“, 1841
Diese Schönheit im Kleinen zeigt die neue Sonderausstellung anhand von Kinderbüchern, Spielen, Fibeln, Poesiealben, Schreibsets aus dieser Zeit sowie mit weiterem Anschauungsmaterial.
(Text: Bettina Merz, Mitarbeiterin im Lohrer Schulmuseum)

Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist von Mittwoch bis Sonntag und an allen
gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger
Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen.
(Kontakt: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main;
Tel. 09352/4960 oder 09359/317,
e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)

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