Beitrag zum Jahr der Kartoffel 2008
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen
(FAO)
hat 2008 zum Internationalen Jahr der Kartoffel erklärt.Aus dem Archiv des Münchner Kartoffelmuseums und des Kartoffelkönigs(und Leiters des Lohrer Schulmuseums):Die Kartoffel - eine höllische Frucht?
Ein Beitrag zum "Jahr der Kartoffel" Dampfende Pellkartoffel (Fotografie: "Das Kartoffelmuseum, München")Sexuell höllisch erregend und ein Werk des Teufels sei die Kartoffel,
machte der Klerus Front gegen eine Pflanze, die nicht in der Bibel steht
und zu den Nachtschattengewächsen gehört, der Pflanzenfamilie also, aus
der auch das Hexenkraut stammt. Den Siegeszug der Kartoffel nach der
Entdeckung Amerikas 1492 konnten die Kirchenmänner nicht aufhalten.
Seeleute brachten die ersten Kartoffeln von ihrer ursprünglichen Heimat
in den Anden als Reisemitbringsel nach Europa. Dass die Kartoffel das
wahre Gold der Inkas war, erkannte man erst viel später. Heute ist eine
einzige Weltkartoffelernte mehr wert als alles Gold, das die spanischen
Eroberer von den Inkas nach Europa brachten.Die Kartoffelleser", Ernest Witkamp, 1884. Das Gemälde lässt
die harte Arbeit auf dem Kartoffelacker erahnen. ("Das Kartoffelmuseum, München).In Deutschland bewunderte man die Kartoffel zunächst wegen ihrer schönen
Blüten und baute sie in den Ziergärten der Schlösser an. Man verglich
die Schönheit der Kartoffelblüte mit Orchideen, entsprechend hoch dürfte
auch der Preis in den Blumenläden gewesen sein. Die dekorativen Blüten
wurden zu Brautsträußen gebunden und in vornehmen Häusern als
Tischschmuck bei besonderen Anlässen verwendet.Das Kartoffelschälen gehörte vor 100 Jahren zu den häufigsten Küchenarbeiten -- Blick in die städtische Küche, entnommen
dem Bildband "Anschauungsunterricht für die Jugend", um 1900. (Schulmuseum Lohr a.Main)Richtig heimisch wurde die Kartoffel in Deutschland erst im 18.
Jahrhundert. Der preußische König Friedrich der Große erreichte mit
seinem "Kartoffelbefehl" 1756 und einer List, dass sich der
Kartoffelanbau endgültig durchsetzte - er ließ seine eigenen Felder mit
Kartoffeln bestellen und zum Schein von Soldaten strengstens bewachen.
Diese Felder erregten natürlich die Neugier der Untertanen, und so
stahlen die Bauern nachts die seltenen und offensichtlich kostbaren
Pflanzen, um sie anschließend daheim in ihre eigenen Gärten zu setzen. "Liebesgaben": Kloßwerbung um 1914 -- ein beliebtes (erotisches) Postkartenmotiv. ("Das Kartoffelmuseum, München")Und genau dort wollte sie der listige König auch haben.
Im so genannten Siebenjährigen Krieg (1756-1763) gelang dann der
Kartoffel der eigentliche Durchbruch als wichtigstes Grundnahrungsmittel.
Quer durch die Jahrhunderte befassten sich auch viele Künstler mit der
Kartoffel, von Claudius bis Grass, von van Gogh bis Dali. Als Beispiel
mag hier Goethes "Liebeserklärung" angeführt werden: "Morgens rund,
mittags gestampft, abends in Scheiben, dabei soll`s bleiben- das ist gesund."Um 1960 warb die junge Marilyn Monroe auf diesem Plakat für die
"Kartoffel-Weltausstellung im US-Staat Idaho.
("Das Kartoffelmuseum, München")Hartnäckig hielt sich auch durch die Jahrhunderte die Vorstellung, die
Kartoffelfrucht sei ein Aphrodisiakum.
Ben Johnson zählte 1601 die Kartoffel in einer Liste von "delikaten
Nahrungsmitteln" auf. Die Engländer gaben der Kartoffel den Beinamen
"Apfel der Jugend" wegen ihrer "Venus befeuernden Wirkung". Kartoffeln
gehörten auch zu den Lieblingsspeisen Casanovas.
Als 1852 der berühmte Pathologe Professor Rudolf Virchow den Spessart
bereiste, "um die von Hungersnot bedrängten Gemeinden zu inspizieren und
den durch traurige Gerüchte als gefährdet dargestellten
Gesundheitszustand der Bewohner zu erforschen", fiel dem Professor die
relativ große Zahl von (oft unehelichen) Kindern auf. Eine Ursache dafür
glaubte er "in dem exclusiven Kartoffelgenuss" zu erkennen, denn die
Kartoffel sei bekanntermaßen ein "Reizmittel der Geschlechts-Erregung".
Sehr wahrscheinlich zog Virchow diesbezüglich falsche Schlüsse, denn bis
heute kann eine aphrodisierende Wirkung der Kartoffel nicht nachgewiesen
werden. Aber dank der Kartoffel mussten die Armen in der Regel nicht
mehr hungern, und das wirkte sich auch auf entsprechende Aktivitäten der
Menschen aus.Anlässlich der Eröffnung der Sonderausstellung "Kartoffellust --die Geschichte einer wundervollen Knolle" im Keller des Lohrer
Schulmuseums
am 25. Oktober 2003 referierte die Leiterin des Münchner
Kartoffelmuseums, Barbara Kosler, "über die Kartoffellust in allen
Lebenslagen
und Lebensbereichen. Anschließend wurde Frau Kosler in Anerkennung
ihres Einsatzes für die Kartoffel von dem Kartoffelkönig
(und Leiter
des Lohrer Schulmuseums), Eduard Stenger, als ordentlichesMitglied in
den Kartoffel-Club "ad usum potatonis" aufgenommen.
(Foto: Udo Kleinfelder, Lohr a. Main)Der
verm. weltweit einzige Kartoffel-Club hat maximal 30 Mitglieder
("exklusivster Club Bayerns"), die sich einmal im Jahr zur Herbstzeit im
Gewölbekeller
des Lohrer Schulmuseums einfinden, um ihrer Kartoffellust zu frönen.
Nach einem ausgiebigen Kartoffeldiner folgt der offizielle
Teil mit Vorträgen über ein vom Kartoffelkönig vorgegebenes Kartoffel-Thema. In diesem Jahr wird Professor Friedhelm Brusniak,
Ordinarius
für Musikpädagogik und Musikdidaktik an der Universität Würzburg, das
Hauptreferat zum Thema "Die Kartoffel und die Musik" halten.Insgesamt kann man wohl behaupten, dass die Kartoffel wie keine andere
Frucht Europas Speisekarte verändert und bis heute weitgehend
Hungersnöte in Europa gebannt hat.
Ein Flach-Denkmal für den Kartoffelkönig enthüllte am 25.Oktober 2003 Roland Mühle (auf dem Foto rechts) aus Bad Kissingen
anlässlich des Kartoffelabends (siehe Text bei Foto 7). Text: "Salve pater patriae, vivas princeps optime -- Salve illustris
solanum-tuberosum-rex
Bavariae". Roland Mühle wurde für sein Werk vom Kartoffelkönig "in
Anerkennung seines künstlerischen Gestaltens eines
kartoffelköniglichen
Bildnisses als ordentliches Mitglied in den Kartoffelclub aufgenommen".
(Foto: Udo Kleinfelder, Lohr a. Main)
Das sagenhafte Märchen vom guten Kartoffelkönig
Eine Geschichte aus dem Frankenland
Neu verfasst von Bert Stenger
Eines
Sonntags in der Früh ging die alte Frau Kübert in Karlburg in den
Kartoffelkeller, um ein paar leckere Erdknollen für das Mittagessen zu
holen.
Sorgfältig wählte sie die schönsten und größten Exemplare aus - und bei
den Küberts waren die Kartoffeln seit jeher besondes groß, was bei
gehässigen Menschen zu allerlei Mutmaßungen führte. Als nun die
Bäueringerade im Begriff war, den Keller wieder zu verlassen, da fiel
ihr eine ungewöhnlich große Knolle auf, so groß, dass man aus ihr
allein drei Kartoffelknödel hätte machen können. Im Handumdrehen kam
diese deshalb auch in den Korb. Kaum hatte sich die alte Frau auf den
Rückweg zum Wohnhaus gemacht, ertönte aus dem Korb eine zornige Stimme
: "Ich will nicht aufgegessen werden, ich mag nicht aufgegessen werden,
ich bin doch der große Kartoffelkönig", und schon sprang der König aus
dem Korb, rollte über den Hof und durch den Garten, bis er schließlich
den Blicken der verdutzten Bäuerin entschwunden war.
Nach
längerem beschwerlichen Bergauf- und Bergab-Kullern, gelangte der
Kartoffelkönig an einen großen Fluß, den Main, welchem er aus
Bequemlichkeit
stromabwärts folgte. So kam er nach einiger Zeit an eine große Brücke.
Doch mit dieser Brücke musste es etwas Besonderes auf sich haben. Es
wimmelte von Menschen, Kutschen und Pferden. Die Frauen trugen
prächtige Kleider, und ihre Goldketten und Ringe glänzten in der Sonne,
so dass der Kartoffelkönig ganz geblendet war. Neben diesen bunten
Geschöpfen wirkten die Männer in ihren knapp sitzenden schwarzen Fracks
eher wie unscheinbare, plumpe Pinguine. "Was ist hier wohl los ?",
fragte sich der König, bis sein Blick auf einen riesigen Triumpfbogen
fiel mit der Aufschrift: "Verknüpft durch dieser Brücke Band reicht
Spessart sich und Frankenland auf immerdar die Bruderhand" (Anmerkung:
Es war der Tag der Einweihung der ersten Lohrer Mainbrücke am 26.
September 1875). Doch da der Kartoffelkönig ja nur das
Kartoffelalphabet beherrschte, half ihm das auch nicht weiter.
Neugierig rollte der Kartoffelkönig näher, als der Lohrer Bürgermeister
Keßler zu einer Festansprache anhob. "Vielleicht verrät der Mann ja,
worum es geht", dachte der König.
Doch als der Bürgermeister ansetzte mit : "Quidquid agis, prudenter agas et respice finem", machte sich der Kartoffelkönig
enttäuscht
auf den Weg, denn Latein verstand er auch nicht. Unbemerkt von allen
Leuten, die sich an solch einem Tag viel zu wichtig nahmen, um auf eine
herumkullernde Kartoffel zu achten, überquerte der König die neue
Brücke und erwies ihr so die königliche Ehre.
Die
Stadt auf der anderen Seite war die größte Ansammlung von Häusern, die
der Kartoffelkönig auf seinem ganzen bisherigen Weg gesehen hatte und
so begab er sich auf eine Erkundungsrundrolle. Als er am berüchtigten
Lohrer Maulaffeneck ankam, stand plötzlich ein großes
Schwein
vor ihm und grunzte vor Freude: "So eine große Kartoffel kommt mir
zwischen dem ersten und zweiten Frühstück gerade recht." Es war
Elfriede, das dickste Schwein des Bürgermeisters. Entrüstet und
angewidert entgegnete der Kartoffelkönig: "Von einer so dicken Sau wie
dir
lass ich mich nicht fressen", und noch ehe es sich die beiden kleinen
Schweinsäuglein versahen, war die Zwischenmahlzeit von dannen
gerollt. Mit einem enttäuschten hochtönigen Grunzer räumte das Schwein ebenfalls das Feld und dachte an sauere Trauben.
Da
ihm diese Stadt nach solch einer Erfahrung zu gefährlich erschien,
schlug sich der Kartoffelkönig in den dichten Spessartwald. Aus Furcht,
die
Sau könnte ihn vielleicht verfolgen, rollte er so schnell seines Weges,
dass er fast mit dem Igel Hubert zusammengestoßen wäre, der
gerade
von seinem sonntäglichen Keilerstammtisch nach Hause trottete. Hubert
war schlecht gelaunt. Es hatte Ärger mit den anderen
Stammtischbrüdern
gegeben, als diese gemerkt hatten, dass er gar kein Keiler, sondern ein
Igel war und so raunzte er den Kartoffelkönig an:
"Kannst du nicht aufpassen, du dumme Kartoffel! Aber Moment mal, für meinen Mittagstisch kommst du gerade recht!" Da aber unser
Kartoffelkönig
von Stammtischbrüdern im Gegensatz zu manchen heutigen
Ministerpräsidenten nicht besonders viel hielt und ihm auch die Idee,
in einem Igelmagen zu landen, nicht sonderlich gefiel, legte er noch
einige Kartoffelaugen zu und raste davon. Der Igel tat, wie immer in
solchen
Fällen,
so, als sei nichts geschehen und schlurfte murrend und grollend weiter
Richtung Heimat. Kaum glaubte sich der Kartoffelkönig außer Gefahr, da
tauchte auch schon die nächste in Form des Hasen Franz auf. Franz war
der Spitzensprinter in der Spessartliga und sein Denken kreiste stets
um Sport und Fitness. Als er die riesige Kartoffel erblickte, rechnete
Franz daher sofort die
darin enthaltenen Kohlehydrate und die damit verbundene prozentuale Leistungssteigerung in Kilojoule aus.
Leider war er damit so beschäftigt,
dass er gar nicht bemerkte, wie die Kartoffel einfach weiter rollte und
ihn rechnend zurückließ. Es dämmerte bereits, als der Kartoffelkönig
eine Ortschaft namens Frammersbach erreichte. Vor einer armseligen
Hütte am Dorfanfang spielten zwei Kinder. Als sie den Kartoffelkönig
entdeckten, trugen sie ihn voller Freude und zur Überraschung des
Kartoffelkönigs ins Haus. Zuerst wollte der Kartoffelkönig wiederum die
Flucht ergreifen, doch als die Mutter der Kinder ihn sorgfältig wusch
und er sah, wie sehr sich alle über seine Anwesenheit freuten, da
beschloss der König zu bleiben und sein Schicksal zu erfüllen. Diese
Familie sollte heute nicht hungrig zu Bett gehen. So kam er schließlich
in einen Topf auf dem Herd und als das Wasser sich langsam erwärmte,
schlief der Kartoffelkönig zufrieden ein und träumte von einem schönen
Thron im Kartoffelhimmel.
Anmerkung: Durch die im
Märchen erwähnte Mainbrücke wurde Lohr das "Tor zum Spessart" oder "das
Spessarttor" (von Franken aus gesehen).
Die Brücke verband von nun
an das reiche Frankenland mit dem armen Spessart. Im Märchen
symbolisiert bzw. vollzieht der Kartoffelkönig diese Verbindung.
(Spruchband
auf dem Triumpfbogen am Eingang der Zufahrtstraße zur Brücke am 26.
September 1875: "Verknüpft durch dieser Brücke Band Reicht Spessart
sich und Frankenland Auf immerdar die Bruderhand")
Monika Stenger, die Gemahlin des Kartoffelkönigs, schmückt das Weihnachtsbäumchen des Lohrer Schulmuseums mit mundgeblasenen
Christbaumkugeln
in Kartoffelform (Leihgaben von "Das Kartoffelmuseum, München"). Anlass
war eine Sonderausstellung über die Kartoffel im
Lohrer Schulmuseum
2003. Historischer Hinweis: Im Jahr 1755 schmückte der Kaufmann Johann
Ernst Gotzkowsky den ersten Weihnachtsbaum in Berlin mit versilberten
und
vergoldeten Kartoffeln und wollte auf diese Weise die Bemühungen
Friedrichs des Großen (auch als Kartoffelkönig in die Geschichte
eingegangen) unterstützen, die Kartoffel als Grundnahrungsmittel in
Preußen einzuführen. Später wurden auch blaue und rote Kartoffeln als
Christbaumschmuck verwendet.
(Foto: Udo Kleinfelder, Lohr a. Main)