Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum
vom 14. Dez. 2008 bis 25. Okt. 2009
rechte Masche -- linke Masche
Zur Geschichte des Handarbeitsunterrichts

Handarbeiten-Sammlung aus Hof (Ofr) für das Lohrer Schulmuseum
Foto: Links: Runhild Laubmann, Mitglied des Stadtrates Hof
Runhild Laubmann, Mitglied des Stadtrates Hof (FAB-Stadtratsfraktion),
und Monika Stenger, Ehefrau von Eduard Stenger

Eine freudige Überraschung erlebte das Ehepaar Stenger, Leiter des Schulmuseums in Lohr a.Main, Ortsteil Sendelbach: Aus Hof in Oberfranken kam Frau Runhild Laubmann mit ihrer interessanten und umfangreichen Sammlung alter Handarbeiten als Geschenk. Ihre Patin, Frau Luise Unger aus Karbach hatte ihr einen Zeitungsausschnitt geschickt mit dem Hinweis auf die derzeitige Sonderausstellung "rechte Masche-linke Masche, Geschichte des Handarbeitsunterrichts". Nach eingehender Besichtigung des Museums wusste Frau Laubmann ihre Sammlung in sehr guten Händen, denn im Hofer Museum bayerisches Vogtland
befinden sich schon sehr ähnliche Arbeiten. Zu jedem Stück ihrer Sammlung konnte sie eine Geschichte erzählen oder
den historischen Hintergrund erklären. Sie brachte z. B. einige Stick-, Näh- und Strickmustertücher mit, die ihre Großmutter Ella Dietlein zur Schulzeit gefertigt hatte. "E.D. 1902" auf den Tüchern ist die Abkürzung für Ella Dietlein im Jahr 1902. Diese war die Cousine des Hofer Chronisten Ernst Dietlein und zum Zeitpunkt der Anfertigung der Stücke erst 12 Jahre alt.
Damals war es üblich, dass die jungen Mädchen in allen handarbeitlichen Fertigkeiten geschult wurden. Die Aussteuer musste "gezeichnet", d. h. mit Initialen versehen und teils sogar nummeriert werden. Die tüchige Hausfrau zählte nämlich nach der Wäsche ihre Stücke genau nach, versah sie mit einem Band und so kam die Wäsche auch wieder in den Schrank. War ein Wäschestück zerrissen, so musste es möglichst unauffällig geflickt oder ein Stück Stoff eingesetzt werden. Auch das wurde anhand von Probemustern geübt.
Anrührend aus dem Besitz: ein Stickmustertuch mit Alphabet. Verwaschenes Bunt-Stickgarn und ausgebleichte Farben beweisen, dass es vor 1830 entstanden sein muss, denn vor diesem Zeitpunkt kannte man noch nicht die chemisch hergestellten und entsprechend haltbaren Farben. Es wurde nur mit Naturfarben gefärbt, die weder lichtecht noch waschecht waren. Wir erinnern uns vielleicht an den Indanthren-Werbespruch aus dem Jahr 1957: "Merk dir das Zeichen, kein Verwaschen, kein Verbleichen!" Das
Stickmustertuch bekam sie von einer Dame geschenkt, deren Mutter es bei der Flucht aus Schlesien als Familienschatz mitgenommen hatte. Eine besondere Kostbarkeit in der Sammlung ist ein Paar baumwollene Strümpfe von ca. 1830. Am oberen Rand ist ein Muster mit winzigen Perlen eingestrickt. Man musste die Perlen in der richtigen Reihenfolge auf das Strickgarn auffädeln und dann im Muster während des Strickens einsetzen - eine sehr zeitaufwändige und mit großer Sorgfalt auszuführende Arbeit, denn: war eine Perle falsch aufgefädelt, so stimmte das ganze Muster nicht! Die Besitzerin der Strümpfe hieß Margarte Lang - sie hatte ihren Namen mit Perlen eingestrickt. Eine weitere Besonderheit ist u. a. der bestickte Schonbezug für eine Reisetasche mit Monogramm.
Der Museumsleiter Eduard Stenger lud Frau Laubmann und ihren Mann spontan zum "Weltstricktag" am 14. Juni 2009 ins Museum ein. An diesem Tag wird die Laubmann-Sammlung als Ergänzung der gegenwärtigen Sonderausstellung der Öffentlichkeit gezeigt. Interessierte Besucher sind herzlich eingeladen, und Frau Laubmann hat versichert, dass sie gerne über alle Handarbeitstechniken Rede und Antwort steht, zumal sie als ehemalige Handarbeitslehrerin vom Fach ist. Dann wird sie auch erklären, warum die Schiffchenspitze auch gelegentlich "Frivolitäten" genannt wird. An diesem Tag feiert übrigens das Lohrer Schulmuseum sein
zwanzigjähriges Bestehen und ist bei freiem Eintritt von 14.00 bis 17.00 geöffnet.
(Text: Runhild Laubmann und Eduard Stenger)
Sonderausstellung Lohrer Schulmuseum
Rollenerziehung um 1900: Der Vater als Mittelpunkt der Familie verfolgt das politische
Tagesgeschehen, während seine Frau im Nebenzimmer mit Näharbeiten beschäftigt ist.
( Aus: Bilder zum Anschauungsunterricht für die Jugend, Schreiberverlag in Eßlingen, um
1900; Ausschnitt aus der Vitrine "Erziehung im Elternhaus um 1900" des
Schulmuseums)". Zum Thema "Handarbeit" steht im "Handwörterbuch für den
Volksschullehrer", aus dem Jahr 1874 u. a.: "Hierunter versteht man solche Arbeiten, bei denen
vorzugsweise die körperlichen Kräfte, die Hände gebraucht werden, welche also (im Gegensatze
zu den Kopfarbeiten) weit weniger mit geistiger Anstrengung verbunden sind, obgleich auch bei
ihnen immer noch ein gewisser Grad geistiger Thätigkeit erforderlich ist."

Mit der Sonderausstellung "rechte Masche -- linke Masche, Geschichte des Handarbeitsunterrichts" zeigt das Lohrer Schulmuseum die Entwicklung des Faches Handarbeiten, wobei auch deutlich wird, wie stark dieses Fach den jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Zeitströmungen angepasst wurde. Umrahmt wird die Ausstellung von der Geschichte der höheren Mädchenbildung am Lohrer Institut der Franziskanerinnen an der Jahnstraße von 1858 bis 1976. Die heute noch lebenden ehemaligen Schülerinnen werden sich auf den ca. 80 großformatigen Klassenfotos entdecken können. Zusätzlich findet der Besucher in der ständigen Ausstellung des Lohrer Schulmuseums weitere Informationen über die sog. Industrieschule in der hiesigen Region und die unterschiedlichen Handarbeitsthemen zwischen
Stadt und Dorf im 19. Jahrhundert
"Der Unterricht soll die Schülerinnen befähigen die im häuslichen Leben unentbehrlichen einfachen Nadelarbeiten selbständig, genau und sauber zu besorgen; er soll zugleich zur Arbeitsamkeit, Ordnung und Sparsamkeit erziehen und den Schönheitssinn pflegen." Mit diesem Satz beschrieb die "Schul- und Lehrordnung für die Volksschule" Unterfrankens im Jahr 1913 die traditionelle Zielsetzung des Schulfachs "Mädchen-Handarbeiten".
Strickuntericht
Strickunterricht in einer Schwälmer (Nordhessen) Schule, Holzstich 1904.

Noch bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts änderte sich wenig an der fachlichen Ausrichtung, und es war ein typisches Beispiel für die
Rollenzuweisung der Frau. Mit der Sonderausstellung "rechte Masche -- linke Masche, Geschichte des Handarbeitsunterrichts" vom 14. Dezember 2008 bis 25. Oktober 2009 zeigt das Lohrer Schulmuseum die Entwicklung des Faches Handarbeiten, wobei auch deutlich wird, wie stark dieses Fach den jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Zeitströmungen angepasst wurde. Die Geschichte des Handarbeitsunterrichts geht zurück bis ins Mittelalter, als in Nonnenklöstern den Mädchen der umliegenden Siedlungen u. a. auch Handarbeitsunterricht angeboten wurde. Im 16. Jahrhundert entstanden sog. Strickschulen: Frauen unterwiesen Mädchen gegen Entgelt im Stricken
Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum 

Litho-Postkarte um 1900: "Kloster und Institut der Franziskanerinnen zu Lohr a. M.", Straßenansicht von 1884 bis 1909.

Eine Fortsetzung erfuhren diese privaten Strickschulen durch die Industrieschulen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die

schulpflichtigen Mädchen wurden an unterrichtsfreien Nachmittagen von einer Frau (oft der Frau des Lehrers) mit den verschiedenen textilen
Techniken vertraut gemacht -- Ergebnis einer neuen pädagogischen Idee mit dem Ziel der "Bildung zur Arbeit durch Arbeit". In Franken war es der 1730 in Lohr a.Main geborene spätere Fürstbischof von Bamberg und Würzburg, Herzog von Franken, Franz Ludwig von Erthal, der schließlich mit zwei Dekreten 1790 und 1792 den Unterricht in weiblichen Handarbeiten als obligatorisches Fach im Rahmen des Industrieunterrichts einführte. Da aber fachliches Personal fehlte, war man gezwungen, "als Handarbeitslehrerinnen Frauenspersonen zuzulassen, die außer einiger Fertigkeit im Stricken und Nähen weiter keine besondere Qualifikation zu diesem Berufe aufzuweisen vermochten. Die Kgl. Regierung verfügte daher mit Entschließung vom 26. Februar 1883, daß die Anstellung der Arbeitslehrerinnen (=Handarbeitslehrerinnen) fernerhin von dem Nachweis einer entsprechenden Vorbildung und dem Erstehen einer besonderen Prüfung abhänge, erließ mit Entschließung vom 2. März 1883 einePrüfungsordnung und traf gleichzeitig Vorkehrungen zur jährlichen Abhaltung von Arbeitslehrerinnenprüfungen..." (aus: Das unterfränkische Volksschulwesen in den Jahren 1868 -- 1893, abgedruckt im Schulanzeiger für Unterfranken und Aschaffenburg 1893).
Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum
Abschlussklasse der Mädchen-Oberrealschule der Franziskanerinnen 1953.

Eine neue Ausrichtung erfuhr der Handarbeitsunterricht zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Reformpädagogen, die in diesem Fach auch die erzieherischen Möglichkeiten, die Weckung schöpferischer Kräfte usw. betonten.Wiederum eine neue Bedeutung erhielt das Fach Handarbeiten im Ersten Weltkrieg (1914-1918). Nun sollten die Mädchen vor allem "Kriegsstrickerinnen" werden, indem sie für die Front-Soldaten wollene Kälteschützer der verschiedensten Art strickten. Mit dem Beginn des Dritten Reichs wurde an den Schulen das sog. Strickopfer als eine besondere Art der Solidarität eingeführt. Die Mädchen einer Schule strickten Handschuhe u. ä. für die Kinder in den Notstandsgebieten (etwa dem Spessart). Noch deutlichere ideologische Hinweise finden sich im Lehrplan für die bayerische Volksschule 1940. Obligatorisch war nun im 5. Schuljahr das Stricken von BDM-Strümpfen und im 8. Schuljahr das Zuschneiden und Nähen einer BDM-Bluse (BDM= Bund Deutscher Mädel, eine Unterorganisation der Hitlerjugend).
Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum
Abschlussfoto einer Lohrer Handarbeitsgruppe (16-jährige "Sonntagsschülerinnen") mit ihrer Lehrerin
Frau Wunderlich um 1880.


In den Notstandsjahren der Nachkriegszeit 1945-1950 stand der Handarbeitsunterricht ganz im Zeichen der nützlichen Arbeiten und der
textilen Selbstversorgung, wobei fehlende Schulräume, zu große Schülerinnenzahlen und Materialmangel einen effektiven Unterricht
erheblich erschwerten. Welchen Stellenwert aber man in dem Fach Handarbeit zu dieser Zeit sah, dokumentiert ein Bericht aus dem Jahr
1950 in einer Lohrer Tageszeitung mit dem Titel "Lernen unsere Mädchen Handarbeiten?", in dem besorgte Lohrer BürgerInnen im Rahmen einer Bürgerversammlung Verbesserungen in diesem Unterrichtsfach anmahnten. Heute ist das Fach Handarbeiten Teil des textilen Werkens in der Schule. "Mehrere Tendenzen lassen sich ausmachen; z. B. die Ausweitung der Verbindung mit anderen Fächern oder die Einbeziehung der textilen Wirklichkeit anderer Kulturen. Als Fachziel scheint sich auch ein Beitrag zur Berufsorientierung zunehmend zu etablieren. Der seit einiger Zeit betonten ästhetischen Erziehung als Erziehung der Sinne ist das Fach verbunden." (Horst Schiffler, Professor i. R. für
Grundschulpädagogik und Leiter des Saarländischen Schulmuseums) Die Idee zu dieser Ausstellung stammt von Prof. Horst Schiffler, der
auch das Grundkonzept entworfen und in einer Sonderausstellung im Saarländischen Schulmuseum umgesetzt hat.
In der Lohrer Sonderausstellung wird vor allem die Entwicklung des Handarbeitsunterrichts von 1870 bis 1970 gezeigt.
Briefmarken
Vergrößerte Werbemarken für Textilien usw. aus der Zeit um 1910.
Solche Marken wurden damals vor allem zum Verschließen von Briefen
verwendet, waren aber auch bei den Kindern ein beliebtes und kostenloses
Sammel-Hobby.

Umrahmt wird die Ausstellung von der Geschichte der höheren Mädchenbildung am Lohrer Institut der Franziskanerinnen an der
Jahnstraße von 1858 bis 1976. Die heute noch lebenden ehemaligen Schülerinnen werden sich auf den ca. 80 großformatigen Klassenfotos
entdecken können. Auch manches textile Ausstellungsstück erinnert an den Handarbeitsunterricht dieser Schule, in der die Schülerinnen noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ganz im Zeichen der traditionellen Frauenrolle (Kinder, Küche, Kirche) erzogen wurden.
Zusätzlich findet der Besucher in der ständigen Ausstellung des Lohrer Schulmuseums weitere Informationen über die sog. Industrieschule in der hiesigen Region und die unterschiedlichen Handarbeitsthemen zwischen Stadt und Dorf im 19. Jahrhundert.
Leihgeber:
Prof. Horst Schiffler, Leiter des Saarländischen Schulmuseums
Das Ehepaar Dathe aus Bad Orb
Die ehemaligen Schülerinnen am Institut der Lohrer Franziskanerinnen
Brigitte Krautwald, Hannelore Schenk, Monika Stenger u. a.


Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist Mittwoch bis
Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr
geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der
regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen. (Kontakt: Eduard Stenger,
Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main; Tel. 09352/4960 oder 09359/317,
E-Mail: eduard.stenger@gmx.net)

  

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