Am
Tag vor dem neuen Feiertag aus Anlass der Wiedervereinigung 1990 ließ
der damalige Klassenlehrer der vierten Klasse der Sackenbacher
Grundschule im Fach Deutsch das Thema „Ein neuer Feiertag“ bearbeiten.
Zwanzig Jahre später sind diese Aufsätzchen interessante und
anschauliche Zeit-Informanten über die kindlichen Vorstellungen zum
Thema „Wiedervereinigung“.
„Morgen
ist der 3. Oktober. Wir Kinder haben schulfrei, weil an diesem Tag die
DDR mit der BRD vereint wird. Um 12 Uhr heute um Mitternacht wird ein
Fest in Berlin gefeiert. Ein Feuerwerk wird auch veranstaltet. Viele
Politiker kommen zusammen.Vor ein paar Jahren war ein Krieg
ausgebrochen. Aber die Amerikaner und die Russen taten sich zusammen.
Hitler ließen sie sterben. Die Höchsten setzten sich zusammen an einen
Tisch und teilten Deutschland auf. Die Amerikaner bekamen die Westseite
und die Russen die Ostseite (von Deutschland). Aber die Westseite
verbesserte sich Schlag auf Schlag, baute Fabriken und viele Häuser.
Auf der Ostseite blieb es so schlecht. Da dachten sich die Russen, wir
gehen wieder in unser Land zurück. Und die Amerikaner gaben den
Deutschen ihr Land auch zurück.“
„Morgen
ist der 3. Oktober. Wir Kinder haben schulfrei, weil an diesem Tag die
DDR auch zu der Bundesrepublik Deutschland dazugehören wird. Die Mauer
wird an diesem Tag weg sein. (...) Nach dem Krieg ist zwischen Berlin
und der DDR eine lange Mauer gebaut worden. Die DDR hatte es nicht so
schön eingerichtet wie wir.“
„...Als die DDR-Bürger Fernsehn
geschaut haben, haben sie einmal rüber (in die BRD) geschaltet und
haben gedacht: Was haben die für ein schönes Programm, und wurden
unzufrieden. Und wollten rüber zu uns schwimmen und wurden erschossen.
Das haben sie so oft gemacht, bis die Grenzen geöffnet worden sind.“
„...
Die DDR-Bürger freuen sich jetzt bestimmt, (denn sie) konnten nicht
nach Deutschland (BRD) und ihre Verwandten besuchen. Es gibt auch kein
DDR-Geld mehr. Die DDR-Bürger haben auch sehr wenig verdient. Die
meisten sind deswegen nach Ungarn geflüchtet.
In der DDR gibt es nur
Tralbis (Trabis), die sehr viel Geld kosten und viel Dreck an die
Umwelt abgeben. Deswegen stinkt es in der DDR auch so. Der Feiertag
(Tag der deutschen Einheit) wurde oft verschoben.“
„... In der
DDR ging es den Leuten sehr schlecht. Sie haben sogar versucht über den
Stacheldraht(zaun) zu klettern und nach Deutschland (BRD) zu flüchten.
Die meisten wurden dabei erschossen und das war schlimm. Sie durften
auch nur nach Ungarn in Urlaub fahren, nämlich die hatten auch einen
Zaun. Aber eines Tages machten die Ungarn ihren Zaun auf und alle Leute
flüchteten. Da hat die DDR ihren Zaun auch abgerissen, weil es sonst
keinen Zweck mehr hätte, ihn noch stehen zu lassen. Das alles war
endlich nach 40 Jahren geschehen. (...)“
 Seite aus
„UNSERE FIBEL“ (für die 1. Klasse), Volk und Wissen,
Volkseigener Verlag Berlin, 1989 | Darstellungen
der sozialistischen Kinderorganisation „Pioniere“ und aus
dem militärischen Bereich zur Veranschaulichung von Zahlen. (Aus dem
Schülerbuch „Mathematik, Lehrbuch für Klasse 1“, Volk und
Wissen, Volkseigener Verlag Berlin 1990) |
Mit
Wandbildern, Schulbüchern und Gegenständen aus dem DDR-Schulleben
ermöglicht das Lohrer Schulmuseum in Form einer Sonderausstellung noch
bis zum 25. Oktober 2010 interessante Einblicke in ein sozialistisches
Bildungssystem und zeigt die vielfältigen Möglichkeiten politischer
Indoktrinationen auf, die heute, hoffentlich und endgültig, der
Vergangenheit angehören - denn der gewünschte mündige Bürger setzt eine
andere Erziehung voraus, in der kein Platz für linke und rechte
Ideologen ist.
Im Übrigen passt die Ausstellung gut in das
Gesamtkonzept des Museums, das, auch wegen seiner
gesellschaftlich-politischen Ausrichtung auf die Zeit von 1789 bis
1989, heute national wie international zu den attraktivsten Schulmuseen
zählt.
Am 3. Okt. 2010 können
Museumsbesucher während der regulären Öffnungszeit überzählige
DDR-Schulbücher aus den Beständen des Schulmuseums erwerben, vor allem
Buchausgaben von 1990, die wegen der politischen Entwicklung nicht mehr
in den Schulen eingesetzt wurden bzw. verwendet werden durften.Ein ergänzender Beitrag zur derzeitigen Sonderausstellung
„Die sozialistische Schule der DDR“ im Lohrer Schulmuseum:
Schulbuch
und Ideologie 1990 in der DDR Auszüge aus dem Rechenbuch der 1. Klasse
„Mathematik, Lehrbuch für Klasse 1“, Volk und Wissen, Volkseigener
Verlag Berlin 1990 belegen, dass die Buchautoren sich offensichtlich
der politischen Veränderungen und deren Auswirkungen nicht bewusst
waren und Darstellungen der sozialistischen Kinderorganisation
„Pioniere“ und aus dem militärischen Bereich zur Veranschaulichung von
Zahlen benutzten – in den Rechenbüchern für die 1. Klasse der
damaligen BRD unvorstellbar!
Auch in 1990 gedruckten
Schülermusikbüchern finden sich typische Musikstücke aus dem
ideologischen Repertoire der DDR, so „Ich trage eine Fahne, und diese
Fahne ist rot“, „Musik zum Marschieren“ - (Parademarsch der NVA), „Der
kleine Trompeter“, „Hoch soll sie leben“ (die DDR) usw.
 Darstellungen der sozialistischen Kinderorganisation „Pioniere“ und aus dem militärischen Bereich zur Veranschaulichung von Zahlen. (Aus dem Schülerbuch „Mathematik, Lehrbuch für Klasse 1“, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin 1990) |  „Der
Parademarsch der Nationalen Volksarmee“. (Aus dem Schülerbuch „Musik 2“
für die 2. Klasse, herausgegeben vom Volkseigenen Verlag Berlin 1990) |
Die Grenzsicherungen der DDRIm
Mai 1952 eröffneten die DDR-Machthaber eine dreiwöchige
Propagandakampagne gegen die BRD. Unter dem Vorwand, dass der Arbeiter
– und Bauernstaat vor „Agenten, Spionen und Diversanten“ aus der BRD
geschützt werden müsse, befahl der DDR-Ministerrat am 26. Mai
1952 „Maßnahmen an der Demarkationslinie“, die u. a. einen
10-Meter breiten Kontrollstreifen, einen 500 Meter breiten
Schutzstreifen und eine 5 Kilometer-Sperrzone beinhalteten.
In den
folgenden Jahren wurden die Grenzanlagen verstärkt durch Alarmanlagen,
Straßensperren, Sprengfallen, Wachtürme usw. Trotz aller
Absperrmaßnahmen, gelang es der Führungsriege der DDR-Kommunisten
nicht, die Massenflucht aus der damaligen Sowjetzone nachhaltig
einzudämmen.
Die „Sicherung der Staatsgrenze West“ und der
„Schutzwall gegen Agenten und Saboteure aus der Bundesrepublik“ hatte
ein großes Loch: Berlin.
Am 13. August 1961 wurde mit dem Mauerbau
quer durch Berlin auch diese letzte Möglichkeit einer halbwegs
gefahrlosen „Republikflucht“ unterbunden.
„Grenzsoldaten auf Friedenswacht“Bemerkenswertes
zum Thema „Grenzsicherung der DDR“ ist auch im Schülerbuch „Heimatkunde
4“, für die 4. Klasse der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule
(vergleichbar mit der Volksschule in der damaligen BRD), Ausgabe 1987,
zu lesen. Dort heißt es unter der Überschrift „Grenzsoldaten auf
Friedenswacht“: „Die Sicherung der Staatsgrenze (am 13. August 1961)
kam für unsere Gegner völlig überraschend. Es gelang ihnen nirgends,
ernsthaft Widerstand zu leisten. Trotzdem versuchten unsere Feinde auch
nach dem 13. August 1961 immer wieder, die Grenze der DDR zu
durchbrechen.
Als sie 1964 von Westberlin aus einen Tunnel bauten,
der unter der Grenze in die DDR führte, wurden sie von Grenzsoldaten
entdeckt. Sofort feuerten die Agenten mehrere Schüsse ab. Der
Unteroffizier Egon Schultz wurde von den Verbrechern getötet. Er war 21
Jahre alt und von Beruf Lehrer. (...) Immer wieder kam es vor, daß
Grenzsoldaten bei ihrem verantwortungsvollen Dienst von Westberlin aus
beschossen wurden. Außer unserem Genossen Egon Schultz wurde eine ganze
Anzahl weiterer Grenzsoldaten, unter ihnen der Unteroffizier Reinhold
Huhn, feige umgebracht.“
Mit keinem Wort wird in dem Schülerbuch an
die Ermordung von „Republikflüchtlingen“ an der innerdeutschen Grenze
durch die DDR-Grenzsoldaten erinnert.
Wie am 13. August 1961 der „Frieden“ gerettet wurdeEin Beitrag zur Sonderausstellung „Die sozialistische Schule der DDR“ im Lohrer Schulmuseum
„Am
13. August 1961 wurde unsere Staatsgrenze zu Westberlin zuverlässig
geschützt. Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse haben ihre Aufgabe
gemeinsam mit den anderen bewaffneten Kräften vorbildlich erfüllt.“
(Aus dem Lehrbuch „Staatsbürgerkunde“ für Hilfsschulen, Volk und
Wissen, Abteilung 1, Klasse 8, Volkseigener Verlag Berlin, 1986)
Das
25 Jahre nach dem Mauerbau aufgelegte Schülerbuch liefert auch gleich
auf mehrere Seite die Begründung und Rechtfertigung dieser besonderen
Grenzsicherung:
„Solange unsere Republik besteht, hetzen die Rundfunk- und Fernsehsender der BRD gegen unser Land.
Als
zum Beispiel die Imperialisten die Stahllieferungen in die DDR
sperrten, behaupteten ihre Sprecher im Rundfunk, unsere Arbeiter
könnten die Betriebe nicht richtig leiten. Die Rundfunk- und
Fernsehsender der BRD verbreiteten fast täglich Lügen über die DDR.
Besonders
hetzen die Imperialisten der BRD gegen unsere Staatsgrenze. Diese
Grenze schützt die volkseigenen Betriebe und das Land der
Genossenschaftsbauern. (...) Die Imperialisten führen den Klassenkampf
mit Lüge, Hetze und Mord. Das sind Verbrechen gegen den Frieden und den
Sozialismus.“
Weitere Beispiele, Angriffe und Sabotageakte der
westdeutschen „Imperialisten“ betreffend, werden in der folgenden
Buchseite unter der Überschrift „Wie die Imperialisten der BRD unsere
Wirtschaft schädigten“ aufgelistet:
„Im Februar 1955 gingen die
neuerbauten Sendesäle des Staatlichen Rundfunkkomitees der DDR in
Flammen auf. Der Täter war ein Student aus Westberlin. Er hatte sich
als Agent gegen die DDR anwerben lassen.
Im Frühjahr 1955 erkrankten
in unserer Republik etwa 5000 Rinder an einer bösartigen Magen- und
Darmentzündung. 1200 Tiere starben an dieser unbekannten Krankheit. Der
Schaden betrug 5 Millionen Mark. Eine Firma aus der BRD hatte
vergiftete Erntebindfäden geliefert, durch die die Rinder krank wurden.
Solche Verbrechen von Agenten aus Westberlin und aus der BRD sollten
unsere Wirtschaft schädigen.
Brandstiftung und Gift waren aber nicht die einzigen Mittel, mit denen die Imperialisten den Klassenkampf gegen die DDR führten.
Durch
Lügen und Hetze in den Rundfunk- und Fernsehsendern der BRD ließen sich
Menschen dazu verleiten, unsere Republik zu verlassen. Viele wurden mit
Geld bestochen und abgeworben. (...) In dieser Zeit erlitt unsere
Republik große Verluste. Der Schaden für unsere Wirtschaft betrug viele
Millionen Mark. Die Imperialisten der BRD hofften, daß unsere Republik
durch diese Schädigung vernichtet werden könnte.“
Nach dieser
Vorbereitung und Einstimmung wird in dem Schülerbuch die Sicherung der
„Staatsgrenze unserer Republik“ 1961 beschrieben:
„Im Sommer 1961 verstärkten die Imperialisten der BRD den Kampf gegen die DDR. (...) Entschlossen handelte unser Staat.
Am
frühen Morgen des 13. August 1961 standen Tausende Genossen der
Kampftruppen aus den Betrieben entlang der Staatsgrenze zu Westberlin
auf Wacht. Die Genossen der Deutschen Volkspolizei sorgten auf den
Straßen und Bahnhöfen für Ruhe und Ordnung.
Einheiten der Nationalen
Volksarmee und der Sowjetarmee standen mit ihrer Kampftechnik bereit,
um jeden Angriff der Feinde abzuwehren. Auf diese Front entschlossener
und kampfbereiter Männer wagten die Imperialisten keinen ernsthaften
Angriff. (...) Den Agenten aus Westberlin und aus der BRD war der freie
Zugang in unsere Republik versperrt.
Mit der Sicherung der Grenzen
zu Westberlin und zur BRD kam unser Staat weiteren Angriffen der
Imperialisten zuvor. Die Imperialisten der BRD hatten schon Pläne
ausgearbeitet, wie sie unsere Republik erobern wollten. Diese Ziele
konnten sie nun nicht mehr verwirklichen. Der Frieden wurde gerettet.“
Was hier den Schülern geboten wurde, kann man nur sehr bedingt nachvollziehen.
Der
Wahrheitsgehalt der Argumente erscheint uns auch aus heutiger Sicht
wohl sehr fraglich und weitgehend unglaubwürdig. Es waren typische
Rechtfertigungsversuche eines totalitären Staates gegenüber der eigenen
Bevölkerung.
Als antifaschistischer Schutzwall taugte die gesamte
Zonengrenze, zumindest aus militärischer Sicht nicht, denn dann hätte
die Anlage völlig anders angelegt werden müssen, wohl aber dazu, die
eigenen Leute einzusperren und ihnen ein elementares Grundrecht zu
verweigern.
Das Lohrer
Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist von Mittwoch bis Sonntag
und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr
geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der
regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen. (Kontakt: Eduard Stenger,
Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main; Tel. 09352/4960 oder 09359/317,
e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)