Spielzeugpanzer aus einem Kindergarten der DDR
„Der
Kindergarten verwirklicht als staatliche Einrichtung die ihm von der
sozialistischen Gesellschaft übertragene und im Gesetz über das
einheitliche sozialistische Bildungssystem, in der Verordnung über
Kindereinrichtungen der Vorschulerziehung und in der
Kindergartenordnung ausgewiesene Aufgabe, die Kinder fürsorglich zu
betreuen, sozialistisch zu erziehen und gut auf die Schule
vorzubereiten.“ (Aus dem Programm für die Bildungs- und
Erziehungsarbeit im Kindergarte1985)
Vieles,
was im Lehrplan für den Kindergarten gefordert wurde, war wohl ähnlich
in den Plänen der BRD-Kindergärten selbstverständlich.
Auffallend
aber war die vormilitärische Ausrichtung, über die ein Zeitzeuge im
Hinblick auf seine Vorschulzeit in einem DDR-Kindergarten berichtet:
„Wir
freuten uns über Infanteristen mit Pistolen, Kalaschnikows oder
Panzerfäusten, hatten kleine Militär-Trabis und Panzerspähwagen sowie
eine kleine Abteilung Sanitäter. Alles natürlich von der NVA, der
Nationalen Volksarmee, welche den Frieden derart liebte, dass sie sich
bis an die Zähne bewaffnete. Nachdem wir mehrere Kriege spielerisch
dargestellt oder neu erfunden hatten, wuschen wir uns die Hände, bevor
wir frühstückten.“ Seine Angaben zufolge verlief ein Tag im
Kindergarten nach fast militärischem Muster mit entsprechenden
Kommandos der Kindergärtnerinnen, angereichert mit verschiedenen
sportlichen Einlagen, denn „die Erzieherinnen bestanden nachdrücklich
auf einer guten körperlichen Ertüchtigung, Spaß bereitete uns das
Wettrennen auf Kommando oder das 'Armeerobben', eine Art
paramilitärische Ellbogen-Fortbewegungsart im Sandkasten.“ Beliebt
seien die Kasernenbesuche gewesen, vor allem am „Tag der Nationalen
Volksarmee“, an dem die Kinder „in ein militärisches Kettenfahrzeug
hineinklettern und eine komfortable Probefahrt miterleben“ durften.
Es
mag sein, dass der beschriebene Kindergarten besonders linientreu
geführt wurde, aber er entsprach auch dem vorgegebenen Lehrplan aus dem
Jahr 1985. Dort steht unter dem Titel „Vom Schutz des Friedens und des
sozialistischen Vaterlandes“: „Den Kindern sind Vorstellungen über die
Tätigkeit der Angehörigen der bewaffneten Organe zu vermitteln. Sie
sollen erfahren, daß diese das Leben der Menschen und die DDR schützen,
weil es immer noch Feinde gibt, die alles zerstören wollen.
Seite aus der Vorschulkinderzeitschrft Bummi, Ausgabe Nummer 3, 1976
Die
Kinder sollen Menschen begegnen und kennenlernen, die uns schützen. Der
Stolz der Kinder auf solche Menschen, auch auf ihre Väter, die den
bewaffneten Organen angehören oder bereits gedient haben, ist zu
entwickeln.“
Und
in den folgenden Ausführungen wurden die Zielvorgaben präzisiert und
entsprechende Lehrmittel und Medien vorgeschlagen: „Einer von vielen,
Unteroffizier Rößner/Kunstdruck für Vorschulkinder“, „Lichtbildreihe R
1018 'Besuch bei der NVA'“, „Soldatenbriefe“ usw.
Das
Kriegsspielzeug wurde nun als „Wehrspielzeug“ nach dem Motto „Selbst
nie etwas Böses tun, aber sich wehren dürfen!“ eingesetzt. Nach Meinung
der staatlich gelenkten DDR-Pädagogik sollte das Wehrspielzeug also zur
Verteidigungsbereitschaft und zur Friedenssicherung erziehen und als
Nebeneffekt das Interesse für die Technik wecken.
Mit
Liedern und Gedichten aus dem Soldatenleben wollte man außerdem den
Kindern schon im Vorschulalter den NVA-Soldaten als Inbegriff eines
friedliebenden und somit höchst ehrenvollen Menschen vermitteln. Dazu
gehörte natürlich ein entsprechendes Feindbild und die Förderung des
Hasses gegen den „imperialistischen Klassenfeind“ im Westen als
offizielles Ziel der ideologischen Erziehung.
Seite aus der Vorschulkinderzeitschrift Bummi, Ausgabe Nummer 5, 1976
Die
„vormilitärische Ausbildung“ außerhalb des Kindergartens erfolgte auch
über die Kinderzeitschrift „Bummi“, in der die Kinder immer wieder
neben den typischen gesellschaftlich-politischen Themen auch mit
militärischen Bereichen vertraut gemacht und diese erzieherisch genutzt
wurden. So heißt es in der Bummiausgabe Nr. 5/1976 unter der
Überschrift „Wir lernen von unseren Soldaten“: „Unsere Soldaten müssen
pünktlich und ordentlich zum Dienst kommen, damit sie immer kampfbereit
sind. Hole deinen Mantel und deine Schuhe! Zeige, daß du dich schnell
und ordentlich an- und ausziehen kannst. (...) Unsere Soldaten treiben
Sport, damit sie stark und mutig werden. Lege dich auf den Bauch und
krieche unter einem Stuhl hindurch, ohne dabei die Stuhlbeine zu
berühren“ usw.
Bleibt
festzustellen, dass die militärische Aufrüstung im Kindergarten des
„Friedensstaates“ DDR ganz im Gegensatz zur Kindergartenerziehung der
damaligen „kapitalistisch-aggressiven und kriegslüsternen“ BRD stand.
In den dortigen Kindergärten war nämlich alles Militärische verpönt,
auch in Erinnerung an die schlimme Zeit des Dritten Reichs.
Die
Sonderausstellung „Panzer im Kindergarten - Der Kindergarten in der
DDR“ im Eingangsbereich des Museums ermöglicht anhand von
Ganzseitenfotos aus dem Buch „Zur Arbeit mit dem Bildungs- und
Erziehungsplan im Kindergarten, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag
Berlin, 1973“, Spielzeug, der Vorschulkinderzeitschrift „Bummi“ usw.
viele Einblicke in einen sozialistischen Kindergarten und ist eine
interessante Ergänzung der Jahressonderausstellung „Schule und
Erziehung in der DDR“ im Gewölbekeller des Schulmuseums.
(Text:Eduard Stenger, Leiter des Lohrer Schulmuseums)
Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist Mittwoch bis
Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr
geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger telefonischer Absprache
(Tel. 09352/4960 oder 09359/317) außerhalb der regulären Öffnungszeiten
das Museum besuchen.
Internet: www.lohr.de/schulmuseum; Mail: eduard.stenger@gmx.net