In
der neuen Sonderausstellung Die Lohrer Schulen in der Nachkriegszeit
1945 bis 1949 zeigt das Lohrer Schulmuseum ab dem 3. Okt. bis 20. Dez.
2015 im Eingangsbereich des Museums einen Zeitabschnitt, der menschlich
und schulisch gesehen Schülern wie Lehrern enorme Belastungen
abforderte.
Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs 1945 war
„Reeducation“ die pädagogische Forderung der Stunde: Rückbesinnung auf
die während des Dritten Reichs verschütteten menschlichen Grundwerte
und Anknüpfung an die reformpädagogischen Tendenzen in der Weimarer
Republik.

Schulspeisung vor der Lohrer Mädchenschule (Volksschule für Mädchen am Kirchplatz) 1947
Die Speisen wurden in provisorisch eingerichteten Schulküchen bereitet.
Mit
dem Rundschreiben des Lohrer Schulrats an die Lehrer der Landkreise
Lohr und Marktheidenfeld vom 24. 8. 1945 wurden die Lehrer über die
zukünftige Ausrichtung der Schulen informiert:
„Durch Verordnung des
Bayer. Staatsministers f. U. u. K. v. 23.7.1945 sind die bayerischen
Volksschulen wieder Bekenntnisschulen. (...) Die Lehrer und Lehrerinnen
müssen Bekennerchristen sein, d. h. durch Erfüllung ihrer religiösen
Pflichten der Jugend und der Gemeinde ein vorbildliches,
nachahmenswertes Beispiel geben.
Der Religionsunterricht ist wieder ordentliches und erstes Lehrfach, und dementsprechend in den Stundenplan einzubauen.
In den Schulen, aus denen das Kreuz entfernt wurde, ist es in feierlicher Weise an seinen alten Platz zurückzubringen.“
Ausführlicher
definierten die „Übergangsrichtlinien für die bayerischen Volksschulen
vom 10. 10. 1945“ die neuen Erziehungsziele und Aufgaben. Demnach war
das Schulleben von allen nationalsozialistischen und militaristischen
Spuren zu säubern. Die gesamte Erziehungs- und Unterrichtsarbeit sollte
in Zukunft „unterbaut sein von den absolut gültigen Normen der Welt des
Sittlich-Religiösen“, jenen Grundsätzen, „die uns im Christentum
gegeben sind“. Entsprechend waren für den Religionsunterricht vier
Wochenstunden einzuplanen. Besonders hervorgehoben wurde die Bedeutung
der Volksschule beim Aufbau einer „wahren Demokratie“, in der „weder
Blut noch Rasse, noch das Volk“ als höchste Werte gelten sollten,
sondern „der einzelne Mensch in seiner Bedeutung, seinem Wert, seinen
Rechten und Pflichten“.

Abschlussfoto der 3. Klasse der Mädchen-Mittelschule der Franziskanerinnen im Schuljahr 1948
Ergänzend dazu schrieb das Amtsblatt des Bayerischen
Staatsministeriums für Unterricht und Kultus in der Nummer 14 am 22.
November 1946 unter dem Titel „Kreuze in Schulzimmern“ u. a.: „Die
Kultur des Abendlandes, die in mehr als 2000jähriger Entfaltung den
allergrößten Anteil der Menschheit verbindet, ist wesentlich getragen
vom christlichen Gedanken- und Erlebnisgut, das auch die sicherste
Gewähr bietet für eine Entwicklung unseres Volkes zu wahrem
Menschentum, zu gegenseitigem Verständnis und Verträglichkeit, zu
echter Demokratie und gesichertem Weltfrieden. Die Schule, die der
Garten sein soll, in dem unsere Kinder im Schutze ihrer Jugend und
ihrer Lehrer einer wahrhaften Volks- und Völkergemeinschaft
entgegenreifen, steht darum unter dem Zeichen des christlichen Kreuzes,
den dem in dem oben erwähnten Sinn auch Nichtchristen als Abendländer
teilhaben.“
Als Grundlage für den stofflichen Rahmen wurde die
„Lehrordnung vom 15.12.1926“ bestimmt und entsprechende Schülerbücher
aus der Zeit vor dem Dritten Reich, als Notausgaben nachgedruckt, im
Unterricht verwendet. Zusätzlich sollte in größeren Volksschulen
Englisch mit drei Wochenstunden als Pflichtunterricht eingeführt werden
und zum Ausgleich u. a. vorläufig der Geschichtsunterricht entfallen.
Diese Maßnahme ließ sich so nicht durchführen, englischer
Sprachunterricht wurde ab 1946 nur als zusätzliches freiwilliges
Wahlfach angeboten. Der Geschichtsunterricht blieb Bestandteil des
Sachunterrichts auf der Oberstufe. Er endete allerdings 1815 mit dem
„Wiener Kongreß“. Die „Richtlinien für den Geschichtsunterricht“ von
1948 bezogen sich zwar auch auf die jüngste Geschichte, aber mit sehr
allgemein gehaltenen Formulierungen, ähnlich der „Bildungsplan für die
bayerischen Volksschulen 1950“.

Der Lohrer Gymnasiast Rolf Sultan auf dem Weg zur Schule. Neben der Büchertasche gehörte auch der Becher
für die Schulspeisung zur Grundausstattung eines Schülers (Lohr, Mai 1948)
Bemerkenswert ist, dass sich in den Geschichtsbüchern der Nachkriegszeit kaum Hinweise auf das Thema „NS-Verbrechen“ finden.
Beispiel:
In dem Schülerbuch „GESCHICHTE FÜR JEDERMANN, Schulausgabe 1953, Verlag
Georg Westermann“, in Gebrauch an Lohrer Schulen, wird z.B. seitenlang
über den Verlauf des Zweiten Weltkriegs berichtet und dass „entgegen
allem Völker- und Menschenrechte etwa 6,5 Millionen Deutsche mitleidlos
von Haus und Hof“ vertrieben wurden, der Holocaust aber wird mit keinem
Wort erwähnt.

Gisela Belinski, die 1949 in Lohr a. M. eingeschult wurde.
Ungewöhnliche
Belastungen und Arbeitseinsätze für Schule und Schüler ergaben sich
durch die allgemeine schwierige Versorgungslage.
Neben der
obligatorischen Kartoffelkäfersuche sollten sich die Schüler an den
zahlreichen Heilpflanzensammlungen beteiligen. In einer Liste aus dem
Jahr 1947 sind 270 zu sammelnde Heilkräuter aufgeführt, vom
Ackerwindenkraut bis zum Zweizahnkraut.
Nach Möglichkeit sollten
auch die während des Dritten Reichs in den Schulgärten angelegten
Maulbeeranlagen zwecks Seidengewinnung reaktiviert werden.
Diese und andere Einsätze erschwerten natürlich ein geregeltes Schulleben und verschlechterten die Leistungen in der Schule.
Hinzu
kamen übergroße Klassen mit bis zu 80 Schülern, Schichtunterricht,
Lehrmittelmangel usw. Viele Einträge der Lehrer in den Schülerbögen
zeugen auch von den zeitbedingten menschlichen Problemen der Schüler,
z.B.: „Flüchtlingskind! Emil ist sehr ängstlich und nervös. Rudolf hat
eine furchtbare Rechtschreibung. Das Fehlen des Vaters (er ist noch in
Kriegsgefangenschaft) macht sich sehr unangenehm bemerkbar.“
Mit der
„Schulspeisung“ versuchte man ab 1947 bis 1950 der Unterernährung
vieler Schulkinder entgegenzuwirken. Die Schüler erhielten in der
Schule eine Mahlzeit, deren Zusammensetzung auch auf den Spender, die
USA, hinwies: Grießbrei mit Rosinen, Haferflockenbrei mit Marmelade,
Mehlmus mit Dessert Powder usw. Manches Pausenmenü war für den
deutschen Schülermagen gewöhnungsbedürftig.

Titelseite und eine von zwölf Innenseiten aus: „Verkehrsmittel“ COMMUNICATION, Lerne spielend Englisch!
Ein „Anschauungs-Unterricht“ für unsere Kleinen; Herausgegeben mit Genehmigung der Publications Control ICD,
OMG Württemberg-Baden, um 1946 (?), keine weiteren Verlagsangaben.
Ergänzungen
zur Sonderausstellung findet der Besucher in der ständigen Ausstellung
des Museums, z.B.: „Das geteilte Deutschland“, „Von der Diktatur zur
Demokratie“, „Das Ende des Schreckens“, „Schulanfang 1945“ usw.

Im
Hinblick auf die künftige gesellschaftlich-politische Ausrichtung
sollte an den bayerischen Volksschulen ab 1946
englischer Sprachunterricht
als bedeutsame Erweiterung
des Bildungsgutes angeboten werden. Das „Verkehrsschild“ Munich –
N.York (siehe Farbkopie) verdeutlicht dieses Ziel.
Insgesamt
also eine Sonderausstellung, die dem Museumsbesucher viele
Informationen über die schulische Entwicklung in der schweren Zeit nach
dem Zweiten Weltkrieg anbietet und zudem mit Fotos, Dokumenten und
Gegenständen aus der bayerisch-deutschen Schulgeschichte von 1945 bis
1949 verdeutlicht, dass das gesamte Schulleben immer realer Teil des
Volksschicksals ist, dass also die Schule ein Spiegelbild der
Gesellschaft ist.
(Text: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr am Main, Tel. 09359/317)
Das
Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist Mittwoch bis
Sonntag jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch
nach vorheriger telefonischer Absprache (Tel. 09352/4960 oder
09359/317) außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum
besuchen.