Als Ergänzung bzw. Vertiefung der Sonderausstellung „Erziehung zum Europäer“
zeigt das Lohrer Schulmuseum im Eingangsbereich ab 4. November bis 16. Dezember 2018
die Sonderausstellung „Flucht und Vertreibung“.
Mit Hilfe von Schulbüchern, Wandbildern und Augenzeugenberichten wird das Thema schwerpunktmäßig
im 20. Jahrhundert aufgezeigt und folgende Fragen an den Besucher gestellt:
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Die
europäische Geschichte ist geprägt von Jahrhunderten der kriegerischen
Auseinandersetzungen und dem ständigen Kampf der Nationen um die
Vormachtstellung in Europa. Kein Kontinent wurde von so vielen und so
blutigen Kriegen überzogen.
Nach den zwei Weltkriegen im 20.
Jahrhundert setzte sich mehr und mehr die Einsicht durch, dass die
Staaten Europas eine Gemeinschaft bilden sollten, um derartige
Katastrophen zu verhindern.
Wandbild aus der Medienkiste „DIE EUROPA-UNTERRICHTSTUNDE“ und Bildausschnitte:
Verschiedene Menschen – verschiedene Völker
In
Bayern wurde 1951 beispielsweise zu diesem Zweck eine Medienkiste mit
dem Titel „Die Europa-Unterrichtsstunde“ an den Schulen in Umlauf
gebracht, die anhand von vier Schaukästen und zwölf Wandkarten noch
sehr unbeholfen aber kindgerecht die Notwendigkeit der übernationalen
Zusammenarbeit zu erklären versuchte und zugleich für Toleranz und
Verständnis für die nationalen Eigenheiten jedes Volkes warb.
Ironischerweise wurden bei diesem Versuch die Klischees von den
verschiedenen Nationen aufgegriffen und verfestigt. So wurde z. B. der
Franzose als träger, zigarettenrauchender Baskenmützenträger im
Gegensatz zum kahlköpfigen fleißigen deutschen Wissenschaftler
dargestellt.
Als Vorbild eines geeinten Europa wurden die Vereinigten Staaten von Amerika auf verschiedenen Tafeln dargestellt.
In
den Begleittexten heißt es u.a.: „Die USA sind zwar nicht ein Erdteil
wie Europa, sondern der Teil eines Erdteils, aber sie sind ein riesiges
Land mit vielen Staaten, viel mehr als Europa (…) Dazu kommt, daß in
Amerika weit mehr verschiedenartige Menschen leben als in Europa. In
Europa sind lauter Europäer, lauter Weiße – in Amerika aber gibt es
neben den Weißen, die aus Europa eingewandert sind, auch noch Menschen
anderer Rassen. Trotzdem leben alle Staaten und alle Menschen friedlich
zusammen, sie führen schon lange keine Kriege mehr untereinander. Weil
die amerikanischen Staaten zusammenhalten, leben sie in Frieden und
Freiheit, und darum sind sie auch reich und mächtig. (Ein
amerikanischer Arbeiter kann sich um den Lohn, den er für 3 Arbeitstage
bekommt, einen neuen Anzug kaufen; ein europäischer Arbeiter muß aber
ungefähr 3 Wochen arbeiten, bis das Geld für einen Anzug ausreicht.)
Wandbild aus der Medienkiste „DIE EUROPA-UNTERRICHTSTUNDE“. Im Begleittext dazu heißt es u.a.:
„Wenn sich all die vielen guten Kräfte der einzelnen Länder Europas vereinigen würden, wäre für alle der Wohlstand gesichert.
Der Zusammenschluß würde auch Europa Stärke verleihen, und Stärke würde Schutz und Sicherheit für eine friedliche
Arbeit gewährleisten und Angriffe von außen verhindern oder erfolgreich abwehren.“
Weitere
Wand- und Schautafeln nehmen Bezug auf die wirtschaftliche Hilfe der
USA beim „europäischen Wiederaufbau“ (ERP oder besser bekannt als
Marshallplan).
Von besonderer Bedeutung für den damaligen
Unterricht waren Schulwandbilder und Wandzeitungen. Das Lohrer
Schulmuseum verfügt über einen umfangreichen Bestand von
Schulwandbildern aus der Zeit von etwa 1870 bis 1980, darunter auch
solche, die Bezug haben zum Thema „Europa“. Sie zeigen auf der einen
Seite, wie die schulische Erziehung an der Erzeugung und Tradierung von
Feindbildern mitwirkte, und auf der anderen Seite die Versuche nach dem
2. Weltkrieg, entsprechende Vorurteile durch eine gezielte
Europaerziehung zu bewältigen oder wenigstens innerhalb der
europäischen Völker abzubauen und ein gemeinsames Europa zu schaffen.
Hunneneinfall, Schulwandbild Der Praktische Schulmann, 1930.
Manche Schulwandbilder verdeutlichen die europäische Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit.
Besonders die Furcht vor den asiatischen Völkern des Ostens und des Islam wird in manchen Schulwandbildern deutlich.
Es
werden die Anfänge der EU in Form der Montanunion, des gemeinsamen
Marktes, der gemeinsamen Währung und Energiepolitik dargestellt.
Bemerkenswert sind die in den Bildern enthaltene Aufbruchstimmung und
der unerschütterliche Glaube an eine goldene, gemeinsame Zukunft.
Freiheit, Frieden, Wohlstand und Arbeit für alle sollten durch die
Gemeinschaft gesichert werden. Besonders interessant ist in diesem
Zusammenhang die Frage, ob und inwieweit sich die damaligen
Vorstellungen heute erfüllt haben. So nannte man damals die
beabsichtigte gemeinsame Währung Europino, ging in seinen
Zielvorstellungen von den „Vereinigten Staaten von Europa“ in Anlehnung
an den großen Bruder USA aus und sah in der Atomenergie die
wirtschaftliche Rettung und Sicherung Europas gegen die Ölabhängigkeit.
Interessant war auch die deutsche Zielsetzung des Gemeinsamen Marktes.
1957 meinte die Europa-Bildzeitung: „Der Gemeinsame Markt fördert die
Wiedervereinigung, indem die westeuropäische und westdeutsche
Wirtschaft leistungsfähiger werden. Ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung
des Kommunismus und jeder anderen Form totalitärer Regime ist die
Hebung des Wohlstandes in der freien Welt. So trägt die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft auf friedliche Weise zur Gewinnung der Freiheit
in Osteuropa und zur Wiedervereinigung unserer Heimat bei!“
Hunneneinfall, Schulwandbild, Tellus-Verlag, 1957
Manche Schulwandbilder verdeutlichen die europäische Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit.
Besonders die Furcht vor den asiatischen Völkern des Ostens und des Islam wird in manchen Schulwandbildern deutlich.
Einige
Wandbilder verdeutlichen aber auch die europäische Fremdenangst und
Fremdenfeindlichkeit. Besonders die Furcht vor den asiatischen Völkern
des Ostens und den Kräften des Islam fand in Schulwandbildern immer
wieder ihren Ausdruck. An den Darstellungen des Hunneneinfalls aus den
Jahren 1930 und 1957 zeigt sich, dass die Schürung von Xenophobie und
Chauvinismus nicht nur typisch für die NS-Schulpolitik war. So stellt
das Wandbild von 1930 die Hunnen als „Teufel in menschenähnlicher
Gestalt“ dar und schildert detailgetreu ihre Greueltaten. Die
Darstellung von 1957 verzichtet zwar auf diese Deutlichkeit, bemerkt
aber im Bildkommentar: „Mongolenregimenter im deutschen Osten zeigen am
deutlichsten die ungeheuere Gefahr, von der das Abendland auch heute
wieder bedroht ist. Starke Elemente der bolschewistischen Herrschaft in
Rußland sind mongolisch bzw. asiatisch. Die Anschauungstafel
‘Hunneneinfall’ möge symbolisch dafür sein, was ganz Europa droht, wenn
seine Völker nicht wie einst zusammenstehen und die Flut der
asiatischen Völker abzuwehren bereit sind.“ Auf diese Weise wurde die
Furcht vor allem Fremden geschickt mit der Bolschewistenangst verknüpft.
Bemerkenswert
ist, dass insgesamt in den Schulwandbildern dieser Zeit ökonomische und
politische Themen im Vordergrund standen, soziale und kulturelle
Bereiche sowie national-emotionale Egoismen usw. aber kaum thematisiert
wurden und somit eine umfassende Europaerziehung in den Schulen
unterblieb.
Moderne Geschichts- und Fremdsprachenlehrbücher, die
Darstellung des Englisch- und Französischunterrichts bereits in den
Grundschulen sowie Zeitschriften und Spiele europafreundlichen Inhalts
usw. verdeutlichen den Wandel von der nationalen zur paneuropäischen
Idee in der Pädagogik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis in
die heutige Zeit und runden die Ausstellung ab, die heute aufgrund der
allgemeinen Stimmung in Europa eine gewisse Aktualität hat.
Am
Museumstag des Landkreises Main-Spessart (23. Sept. 2018) ist die
Sonderausstellung „Erziehung zum Europäer“ im Gewölbekeller des Lohrer
Schulmuseums bei freiem Eintritt während der regulären Öffnungszeit von
14:00 bis 14:00 erstmals zu sehen.