Noch bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts fand die Kartoffel in den Schulbüchern wenig Beachtung.
Dann
wurden, wie Belegstücke im Archiv des Schulmuseums beweisen, Themen
rund um die Kartoffel ein beliebtes Aufsatzthema für die
Abschlussklassen der damals siebenjährigen ländlichen Volksschulen.
So
hatte Anton Stenger, Schüler der 7. Klasse der Halsbacher Volksschule
am 11. April das Thema „Beim Kartoffellegen“ zu bearbeiten. Er schrieb
u. a.:
„Jetzt wird wieder allmählich mit dem Kartoffellegen begonnen
und es ist jetzt auch Zeit. Seither war es immer noch zu feucht, jetzt
ist aber günstige Witterung. In sandigen Markungen, wo es nicht so
feucht war, sind schon viele Kartoffeln gelegt. (...) Die
Kartoffeläcker hat der Vater schon im Herbst mit Mist gedüngt und
umgeackert. Im Frühling mußten sie nur noch geeggt werden. Jetzt liegen
sie zum Kartoffellegen vollständig bereit und am Samstag haben wir
damit begonnen. Wollen wir Kartoffeln legen, so stellen wir zu Hause
die Körbe mit den Kartoffeln auf den Wagen und der Vater fährt hinaus
auf den Acker. Die Körbe werden vorne und hinten heruntergestellt, dann
wird mit dem Kartoffellegen begonnen. Der Vater fährt mit dem Pfluge
voran und die Mutter drückt die Kartoffeln schrittweise immer an die
dritte Furche, mit welcher die Kartoffeln zugedeckt werden, dann wird
seichter geackert.“
„Karl Kahlfraß und sein Lieschen, Bilderbuch für große und kleine Kinder. Herausgegeben vom Ministerium
für Land- und Forstwirtschaft der DDR“.Das 1952 herausgegebene Schriftchen stand ganz im Zeichen des
Kalten Krieges und benutzte das vermehrte Auftreten des Kartoffelkäfers auch durch eine entsprechende Darstellung
(der Käfer als Uncle-Sam-Karikatur usw.) zu den üblichen Propaganda-Angriffen gegen die USA.
Zwei
Jahre später, am 4. November 1914, schrieb sein Bruder Vinzenz Stenger,
Schüler der 7. Klasse der Halsbacher Volksschule zum Aufsatzthema: „Wie
wir uns von Kartoffeln nähren.“:
„Die Kartoffeln sind außer dem Brot
das wichtigste Nahrungsmittel. Wir können sie nicht entbehren. Sie sind
nicht nur eine bevorzugte Speise für die Reichen und Wohlhabenden,
sondern ein Hauptnahrungsmittel für die breiten Volksmassen und
besonders für die Armen. Diese sind fast ganz auf die Kartoffeln
angewiesen, weil sie die anderen teuren Lebensmittel nicht kaufen
können.
Auch wir essen fast jeden Tag Kartoffeln, immer in einer
anderen Zubereitung. Sie bringen uns immer die erwünschte Abwechslung
in unsere Kost. Ohne dieselben wüßte die Mutter oft gar nicht, was sie
anfangen sollte.Aus Kartoffeln können die verschiedensten Speisen
gerichtet werden. Sie werden in der Schale abgesotten und dann zu
Milch, Heringen oder Wurst gegessen. Das ist rasch hergerichtet und
doch ein schmackhaftes Abendessen.
Außerdem werden auch Gemüse, Brei, Salat, Suppe, Klöße, Pflaumenkuchen u. dgl. daraus hergestellt.
Auch zu feinerem Backwerk wie Kuchen und Torten werden Kartoffeln verwendet.“
Nach wie vor aber fand das Thema „Kartoffel“ bei den Schulbuchautoren wenig Beachtung.
Einen
besonderen Aufgabenbereich brachte das 3. Reich für die Schulen im
Hinblick auf die Kartoffel. Das massenhafte Auftreten des
Kartoffelkäfers wurde mehr und mehr zu einer ernsthaften Gefahr für die
Volksernährung.
Nun wurden für die Schulen Suchtage zur Bekämpfung
des Kartoffelkäfers angeordnet. Klassenweise zogen die Schülerscharen
in der Befallszeit mit Schachteln und Dosen über die Kartoffeläcker, um
Käfer, Larven und Eier einzusammeln. Die Nazis gaben 1941 eigens für
die Schulen eine illustrierte Kartoffelkäferfibel heraus, um zum
richtigen Umgang mit dem Schädling anzuleiten und zu motivieren.
Ein anschauliches Beispiel aus der Fibel:
„Denkt euch nur, ein Käferpaar
hat in einem einz'gen Jahr
Nachgeborne viel Millionen.
Wenn sie nur ein Feld bewohnen,
müßte dieses Feld allein,
will die Käferbrut gedeih'n,
zwei ein halbes Hektar messen.
Alles würde aufgefressen,
und uns fehlen – ja wir grollen -
fünfundvierzig Tonnen Knollen.“
Seite aus „Karl Kahlfraß und sein Lieschen, Bilderbuch für große und kleine Kinder.
Herausgegeben vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft der DDR“.
Unmittelbar
nach dem Ende des 2. Weltkriegs war die Gefährdung der Kartoffelernte
durch den Kartoffelkäfer besonders groß, da auch geeignete Spritzmittel
nicht mehr zu haben waren. Dieser Notstand veranlasste den damaligen
Bürgermeister von Lohr a.Main A. Franz am 1. Juni 1945 zu der
folgenden Bekanntmachung im 'Mitteilungsblatt für die Aemter, Behörden
und das Bürgermeisteramt Lohr':
„Sämtliche hier wohnenden Lehrkräfte
aller Schulen werden ab Montag zur Kartoffelkäfer-Suchaktion
eingeteilt. Führer der Aktion: Oberlehrer Pfriem.
Alle Schülerinnen
und Schüler sämtlicher Schulen im Alter von 8-13 Jahren haben sich
hierzu am kommenden Montag, 4. Juni, vormittags 9 Uhr auf dem
Mainländeplatz unterhalb der Mainbrücke für die Suchaktion zur
Verfügung zu stellen.“
Stundenplan-Vordruck aus dem Dritten Reich: „Achtet auf den Kartoffelkäfer!
Eine
politische Ausrichtung erfuhr der Kampf gegen den Kartoffelkäfer einige
Jahr später in der damaligen DDR. Die verderbenbringende Pest (der
Kartoffelkäfer) aus den USA - angeblich wurden per amerikanische
Flugzeuge Kartoffelkäfer über dem Territorium der DDR abgeworfen - sei
Kampf gegen die Kriegspläne der Imperialisten, sei Kampf für den
Frieden.
Das verdeutlicht auch das 1952 herausgegebene Schriftchen
„Karl Kahlfraß und sein Lieschen, Bilderbuch für große und kleine
Kinder. Herausgegeben vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft der
DDR“, in dem, ganz im Zeichen des Kalten Krieges, das vermehrte
Auftreten des Kartoffelkäfers auch durch eine entsprechende Darstellung
(der Käfer als Uncle-Sam-Karikatur usw.) zu den üblichen
propagandistischen Angriffen gegen die USA benutzt wurde.
Wieder mussten sich die Schulen an den Suchaktionen beteiligen.
In
den Fibeln und Lesebüchern der Grundschulen in den 50er Jahren des 20.
Jahrhunderts wurde die „Kartoffel“ zum obligatorischen Bestandteil -
die Kartoffel war damals ein willkommenes Grundnahrungsmittel, und das
manifestierte sich auch in den Texten der Lesebücher.
„Am Kartoffelfeuer.“,Seite aus der Fibel „Komm und lies, Schreib-Lesefibel für unsere Kleinen in Stadt und Land, Adolf Rausch Verlag Heidelberg 1952“ | „Peter
sucht Kartoffeln.“, Seite aus der Fibel „Sonnenfibel“, herausgegeben
von Dr. Maria Koch, Bilder von Else Wenz-Vietor, pädagogischer Verlag
Schwann, Düsseldorf, 8. Auflage |
Mit
den Schulreformen ab den 60er Jahren und dem steigenden Wohlstand
beginnt dann wieder ein abnehmendes Interesse am Kartoffelthema.
Umso erstaunlicher ist, dass es in jüngster Zeit wieder auflebt.
Die
umfangreiche Arbeitsmappe „Die tolle Knolle – Fächerübergreifende
Unterrichtsmappe rund um die Kartoffel“ von 1994 zeigt mit sieben
Unterrichtseinheiten und entsprechenden Querverbindungen Möglichkeiten
der unterrichtlichen Gestaltung. Im Bildungsserver "//Lernarchiv
Grundschule Sachunterricht" von Hessen werden ein Lernzirkel zum Thema
"Kartoffel" mit 44 Seiten, außerdem Unterrichtseinheiten und Anregungen
angeboten. Im Rahmen eines EU-Schulobstprogramms bietet
Nordrhein-Westfalen Material mit 16 Themen zur Kartoffel; sogar ein
Film mit dem Titel "Kartoffel - Geheimtipp aus Peru" kann abgerufen
werden.
Illustration
zum „Das Märchen vom guten Kartoffelkönig.“, bayerisches Lesebuch für
das 3. und 4. Schuljahr, 1947, Bayerischer Schulbuchverlag
Auf
die wohl bemerkenswerteste Verknüpfung der Kartoffel mit der Schule
wies Horst Schiffler, Professor im Ruhestand, bei seinem Vortrag
„Kartoffel und Schule“ 2013 beim Kartoffelclub „SOCIETAS AD USUM
POTATONIS“ hin: „Als der heutige Kartoffelkönig vor mehr als 60 Jahren
mit der Schule in Berührung kam, muss das den Jungen so beeindruckt
haben, dass er sich nie mehr davon befreien konnte - er blieb ihr als
Lehrer, als Rektor, als Kartoffelkönig verbunden.
Der Gedanke,
einmal ohne Schule leben zu müssen, hat ihn zutiefst beunruhigt. Doch
mit unbändiger Kreativität, die die gewaltige Einverleibung fränkischer
Kartoffeln auslöste, zwang er die Schule in ein Museum, übrigens das
einzige Museum unter königlicher Leitung. Die durch königliche Würde
veredelte Kartoffel trifft auf die historisch verklärte Schule - kann
es eine gelungenere Symbiose geben?“
Die Kartoffel im Mathematik-Unterricht 1960 – 2010
Eine Metapher auf die Effekte der Pisa-Studie
1. Im Jahre 1960 / Hauptschule:
Ein Bauer verkauft einen Sack Kartoffel für 50,-- DM. Seine Unkosten betrugen 40,00 DM.
Wie hoch ist sein Gewinn?
2. Im Jahre 1970 / Realschule:
Ein Bauer verkauft einen Sack Kartoffel für 50,-- DM. Seine Erzeugungskosten betrugen vier fünftel des Erlöses.
Wie hoch ist sein Gewinn?
3. Im Jahre 1980 / Gymnasium:
Ein
Agrarökonom verkauft eine Menge subterraner Feldfrüchte für eine Menge
Geld (G). G hat die Mächtigkeit von 50. Für ein Element aus G = g gilt
= öS 1,--. Die Menge der Herstellungskosten (H) ist um zehn Elemente
weniger mächtig als die Menge G. Zeichnen Sie das Bild der Menge H als
Teilmenge G und geben Sie die Lösungsmenge (L) an für die Frage: Wie
mächtig ist die Gewinnmenge?
4. Im Jahr 1990 / integrierte Gesamtschule:
Ein
Bauer verkauft einen Sack Kartoffeln für DM 50,-- . Die Erzeugerkosten
betragen DM 40,--. Der Gewinn DM 10,--. Aufgabe: Unterstreiche das Wort
„Kartoffeln“ und diskutiere mit Deinem Nachbarn darüber!
5. Im Jahre 2000 / Schule nach der Bildungsreform:
Ein
kapitalistisch-privilegiertes bauer bereichert sich ohne rechtfertigunk
an einem sak gartofeln um 10 €. Untersuch das tekst auf inhaltliche
feler, korigire das aufgabenstellunk und demonstrire gegen das losunk.
6. Im Jahre 2010:
es gipt keine gartofeln mer! Nur noch pom fritz bei mec donald!
Die
Sonderausstellung im Eingangsbereich des Lohrer Schulmuseums zeigt mit
sechs Vitrinen an verschiedenen Beispielen die Kartoffel als
Unterrichtsthema und ermöglicht so nebenbei auch Erkenntnisse über den
jeweiligen Zeitgeist der vergangenen Zeit von 1900 bis 2000.
Mit
dem politisch-geschichtlichen Konzept, das auf die Zeit von 1789
(Französische Revolution) bis 1989 (Zusammenbruch der DDR) ausgerichtet
ist und die Abhängigkeit der Schulentwicklung und des gesamten
Erziehungswesens von totalitären Strömungen dieser Epoche akzentuiert,
hat sich das Lohrer Schulmuseum schnell einen überregionalen Ruf als
bedeutende Dokumentationsstätte des pädagogischen Alltags vergangener
Zeiten erworben.
Schwerpunkte des Museums sind das Deutsche
Kaiserreich (1871-1918) und das Dritte Reich (1933-1945). Die Anordnung
der Themenkreise unter Einbeziehung der außerschulischen Erziehung
(z.B. im Elternhaus und durch die Kirchen) verdeutlicht Ähnlichkeiten,
Veränderungen und Unterschiede dieser Zeitabschnitte.
Das Lohrer
Schulmuseum zählt heute, auch in Bezug auf Raumgestaltung und
Präsentation, national wie international zu den attraktivsten Museen
seiner Art.