Sonderausstellung im Schulmuseum31. Oktober 2010 - 6. März 2011:„Der Amikäfer“
Der Kartoffelkäfer auch ein
Medium der politischen PropagandaAnlässlich
des beginnenden Bundestagswahlkampfs im Mai 2005 erfand der damalige
Bundesinnenminister Otto Schily den neuen Spottnamen
„Kartoffelkäferkoalition“: „Schwarz-gelb ist eine Warnfarbe. (...) Der
Kartoffelkäfer ist schwarz-gelb. Wenn man vor Gefahren warnt, dient oft
schwarz-gelb als Signal.“ Eine CDU-FDP-Koalition habe also die
richtigen Farben, die Menschen zu warnen, „dass eine solche Politik
besser nicht im Bund vertreten wird.“
Es war nicht das erste Mal,
dass der Kartoffelkäfer in das politische Blickfeld trat. Immer wieder
versuchte man diesen Käfer, allerdings weniger wegen seiner Farbe als
wegen seiner Gefräßigkeit, in den beiden Weltkriegen des 20.
Jahrhunderts und deren Folgezeiten zum Einsatz zu bringen.
Als im
Ersten Weltkrieg (1914-1918) ein vermehrtes Auftreten des
Kartoffelkäfers festgestellt wurde, glaubte man an eine gezielte
Vermehrung des Käfers durch die Franzosen („Franzosenkäfer“), um die
Lebensmittelversorgung der deutschen Bevölkerung zu gefährden.
Dass
der Kartoffelkäfer ein durchaus effektives biologisches Kampfmittel
sein konnte, belegt ein anschauliches Beispiel in der
Kartoffelkäfer-Fibel, die die Nazis 1941 an die Volksschulen verteilen
ließen:
„Denkt euch nur, ein Käferpaarhat in einem einz'gen JahrNachgeborne viel Millionen.Wenn sie nur ein Feld bewohnen,müßte dieses Feld allein,will die Käferbrut gedeih'n,zwei ein halbes Hektar messen.Alles würde aufgefressen,und uns fehlen – ja wir grollen - fünfundvierzig Tonnen Knollen.“In
dieser Zeit machte in Deutschland das Gerücht die Runde, dass
amerikanische und englische Flugzeuge Kartoffelkäfer über Deutschland
abwürfen. Belege für diese Unternehmen gibt es bis heute nicht, aber
man erinnerte sich wohl an den Mainzer Lokalpoeten, der in den 70er
Jahren des 19. Jahrhunderts nach dem ersten Auftauchen des
Kartoffelkäfers in Europa öffentlich Amerika aufgefordert hatte, den
gefräßigen Käfer selbst satt zu machen, damit dieser nicht „unserem
Volk die letzte Speise verkürzen“ müsse.
Im
Zweiten Weltkrieg scheint der Vorwurf einer geplanten biologischen
Kampfführung eher gegen die Deutschen berechtigt gewesen zu sein, denn
die Wehrmacht züchtete seit 1943 Kartoffelkäfer und warf versuchsweise
14000 über der Pfalz ab. Zum tatsächlichen Einsatz gegen England kam
diese biologische Kampfwaffe aus verschiedenen Gründen nicht.
Seinen
politischen Höhepunkt aber erreichte der Kartoffelkäfer nach dem 2.
Weltkrieg in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland
(SBZ) bzw. der DDR.
Die
politische Führung war nicht in der Lage, die sprunghafte Vermehrung
des Käfers zu verhindern, also nutzte man diese für die DDR-Wirtschaft
bedrohliche Entwicklung zu propagandistischen Zwecken im Kalten Krieg
und behauptete, dass eigens gezüchtete Kartoffelkäfer von
amerikanischen Flugzeugen zwecks Schwächung der sozialistischen
Landwirtschaft und Destabilisierung der Lebensmittelversorgung über der
DDR abgeworfen würden. Am 16. Juni 1950 brachte das „Neue Deutschland“,
das Zentralorgan der SED, auf der Titelseite die Schlagzeile:
„Gemeinsame Abwehrmaßnahmen gegen Kartoffelkäfer“ mit dem Untertitel
„Außerordentliche Kommission stellt fest: USA-Flugzeuge warfen große
Mengen Kartoffelkäfer ab.“ Im Inneren des Blattes erfolgte eine
ausführliche „Beweisführung über den angeblichen „verbrecherischen
Anschlag der amerikanischen kapitalistischen Kriegstreiber“:
„Karl Kahlfraß und sein
Lieschen, Bilderbuch für große und kleine Kinder. Herausgegeben vom
Ministerium für Land- und
Forstwirtschaft der DDR“.Das 1952 herausgegebene
Schriftchen stand ganz im Zeichen des Kalten Krieges und benutzte das
vermehrte Auftreten des Kartoffelkäfers auch durch eine
entsprechende Darstellung (der Käfer als Uncle-Sam-Karikatur usw.)
zu den üblichen propagandistischen Angriffen gegen die USA. (Abdruck mit freundlicher Genehmigung www.klossmuseum.de
und Archiv Handschuhmacher)„Seit
dem 22. Mai 1950 haben Flugzeuge, aus dem Westen kommend, über dem
Gebiet der Republik Koloradokäfer abgeworfen. (...) Die ersten
außergewöhnlichen Kartoffelkäferfunde wurden am 22., 23. und 24. Mai in
Sachsen (...) festgestellt. Aus den Kreisen der Bevölkerung wurde (...)
zunächst unabhängig davon Mitteilung gemacht, daß in dieser Zeit vom
22. bis 24. Mai Flugzeuge bemerkt worden sind, die teilweise auf einer
außergewöhnlichen Flugstrecke aus der amerikanischen Zone in das Gebiet
der Republik einflogen. (...) Die Kriegstreiber im amerikanischen Lager
haben, den Fußspuren Hitlers und seiner japanischen Spießgesellen
folgend, aus Furcht vor dem Anwachsen der Friedenskräfte und in
Erkenntnis der Schwäche der eigenen Position, die Verschärfung des
sogenannten 'Kalten Krieges' auch durch Anwendung der Methoden
bakteriologischer Kriegsführung aufgenommen. Der Abwurf von
Koloradokäfern auf das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik ist
dafür ein Beweis.“
Plakat 1950 - die
Kartoffelkäfer als „Saboteure in amerikanischen Diensten am Werk!“ (Abdruck mit freundlicher
Genehmigung
www.klossmuseum.de und Archiv Handschuhmacher)
Als Antwort auf die
propagandistischen Aktionen und Falschmeldungen der DDR-Führung bat
die amerikanische Regierung die
Bundesrepublik Deutschland um
geeignete Gegenmaßnahmen. Man beschloss unter anderem den
Ballonabwurf von Kartoffelkäferattrappen
aus Pappe mit einem
aufgedruckten „F“ für „Freiheit“ auf der Rückseite über
dem Gebiet der DDR. Verantwortlich für diese Aktion waren das
„Gesamtdeutsche Ministerium“ und der US-amerikanische
Geheimdienst, wobei dort vor allem der spätere US-Präsident Ronald
Reagan als
Anführer des „Friedenskreuzzuges“ gegen Osteuropa in
Erscheinung trat.Mit einer Plakataktion wurde u. a. die Bevölkerung zusätzlich informiert und aktiviert:
„AMI-KÄFER
SOLLEN UNSERE ERNTE VERNICHTEN. SIE BEDROHEN DAMIT AUCH DEINE
LEBENSGRUNDLAGE! Die Kartoffelkäfer vernichten ist Kampf gegen die
Kriegspläne der Imperialisten. Dein Kampf gegen die verderbenbringende
Pest aus den USA ist KAMPF
FÜR DEN FRIEDEN!“Und Bertolt Brecht dichtete:„Die Amiflieger fliegen,silbrig am Himmelszelt,Kartoffelkäfer liegenin deutschem Feld.“Auch
der Kreml bediente sich des Kartoffelkäfers. Dazu schrieb „DIE ZEIT“ am
13. Juni 1950 u. a.: Der Kreml hat ein neues Requisit auf die Bühne des
Kalten Krieges geschoben: den Kartoffelkäfer. Der Schädling des
Kartoffelanbaues, der nach dem ersten Weltkrieg von Amerikanern in
Europa eingeschleppt wurde – das steht in den Nachschlagwerken – ist
zum Schädling der Fünfjahrespläne avanciert, der nach dem zweiten
Weltkrieg von amerikanischen Flugzeugen über dem kommunistischen Europa
abgeworfen wurde – das steht in allen kommunistischen Zeitungen. Moskau
hat wieder einmal zwei Fliegen mit eine Klappe geschlagen. Es kann
seine Untergebenen beruhigt hungern lassen, schuld ist ja nicht die
bolschewistische Wirtschaft, schuld sind 'die sechsbeinigen Botschafter
von Wallstreet' (...). Schon wird gemeldet, daß alle sowjetischen
Infanterie-Divisionen der Besatzungsarmee mit Flakeinheiten ausgerüstet
werden. Auf den Streichholzschachteln der Tschechoslowakei prangt als
Symbol der imperialistischen Kapitalisten ein fetter Kartoffelkäfer,
und unter der Parole 'Abwehraktion gegen die amerikanischen
Kartoffelflieger' wird von der Segelflug-FDJ in der Sowjetunion die
'Vorbereitung auf die kommenden großen Aufgaben des Motorfluges'
propagiert. Das sind, bei aller Groteske, gefährliche Töne.“
„Karl Kahlfraß
und sein Lieschen, Bilderbuch für große und kleine Kinder.
Herausgegeben vom Ministerium für Land- und
Forstwirtschaft der
DDR“. Das 1952 herausgegebene
Schriftchen stand ganz im Zeichen des Kalten Krieges und benutzte das
vermehrte
Auftreten des Kartoffelkäfers auch durch eine
entsprechende Darstellung (der Käfer als Uncle-Sam-Karikatur usw.)
zu den üblichen
propagandistischen Angriffen gegen die USA. ( Abdruck mit freundlicher Genehmigung www.klossmuseum.de und Archiv
Handschuhmacher):
Sie erinnern an die Kartoffelkäfer-Fibel der
Nazis.Bemerkenswert
in dieser Angelegenheit ist auch eine Note, die der US-Botschafter am
30. Juni 1950 in Moskau in Sachen „Kartoffelkäfer“ entgegennahm: „Die
Sowjetregierung ist von der Regierung der Deutschen Demokratischen
Republik davon in Kenntnis gesetzt worden, daß amerikanische Flugzeuge
in der Zeit vom 22. Mai bis zum 7. Juni dieses Jahres in Verletzung der
bestehenden Flugvorschriften (...) eine große Menge von Koloradokäfern,
die ein gefährlicher Schädling der Kartoffelpflanzen sind, abgeworfen
haben“, und die Verantwortlichen in den Besatzungsbehörden sollten zur
Rechenschaft gezogen werden.
Vier Jahre später wurde in der
Tschechoslowakei ein Beamter des nationalen Landwirtschaftskomitees
namens Novacek zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er mit
Unterstützung anderer Verschwörer (gemeint sind die „amerikanischen
Imperialisten“) den Kartoffelkäfer vorsätzlich und heimtückisch auf den
Kartoffeläckern ausgesetzt habe.
Plakat der SED, um 1950.
Die Vernichtung des Kartoffelkäfers ist „KAMPF FÜR DEN FRIEDEN!“
( Abdruck mit freundlicher Genehmigung
www.klossmuseum.de und Archiv
Handschuhmacher)Eine
völlig andere Bedeutung erhielt das Wort „Kartoffelkäfer“ in dem 2008
gedrehten ZDF-Fernsehfilm „Die Kartoffelkäfer kommen“. Der Film erzählt
die Geschichte einer Mutter, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren
beiden Kindern aus Schlesien in ein kleines hessisches Dorf flieht und
dort (zunächst) als „Kartoffelkäfer“, wie die Flüchtlinge oft genannt
wurden, nicht gerade willkommen ist.
Zusammenfassend darf man wohl
feststellen, dass es keinen Käfer gibt, der eine so vielseitige
gesellschaftlich-politisch-ideologische Vergangenheit aufzuweisen hat
wie der Kartoffelkäfer.
Deshalb hat ihm das Lohrer Schulmuseum eine
Sonderausstellung gewidmet, auch als ein anschauliches Beispiel für
propagandistische Lügen und Täuschungen, denen die Bürger gelegentlich
ausgesetzt sind.
Das
Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist von Mittwoch bis
Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16
Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger Absprache
außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen.
(Kontakt: Eduard Stenger, Zum
Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main; Tel.
09352/4960 oder 09359/317, e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)